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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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das, was sie gespürt hatte, eine besondere Gabe war, die man mir in die Wiege gelegt hatte, ein Fluch, ein Seitensprung der Natur. Aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Sie kamen mir so irrwitzig vor. Wie konnte ich so etwas bekennen? Ich ließ den Augenblick vorübergehen und sagte statt dessen lahm: »Nun gut, es war für uns beide ein seltsames Erlebnis. Wir waren beide nicht ganz bei Verstand. Aber die Reise ist jetzt vorüber. Du brauchst dich nicht mehr vor mir zu verstecken. Komm zu mir zurück, Toni!«
    »Nein.«
    »In ein paar Tagen?«
    »Nein.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Alles hat sich verändert«, sagte sie. »Ich könnte nie wieder mir dir zusammenleben. Dafür machst du mir viel zuviel Angst. Die Reise ist vorüber, doch wenn ich dich anschaue, sehe ich Dämonen. Ein Wesen, halb Fledermaus, halb Mensch, mit lederartigen Flügeln und langen, gelben Fangzähnen, und – o du mein Gott, David, ich kann nichts dafür. Ich habe immer noch das Gefühl, daß wir durch unseren Geist miteinander verbunden sind. Dauernd kommen Bilder von dir in meinen Kopf herüber. Ich hätte nie dieses LSD anrühren dürfen!« Achtlos drückte sie ihre Zigarette aus und nahm die nächste. »Wenn du da bist, fühle ich mich unbehaglich. Bitte, geh! Wenn du in meiner Nähe bist, bekomme ich Kopfschmerzen. Bitte. Bitte, David! Es tut mir leid.«
    Ich wagte es nicht, ihre Gedanken zu sondieren. Ich fürchtete, das, was ich dort sah, würde mich versengen, vernichten. In jenen Tagen war meine Gabe jedoch noch so stark, daß ich unwillkürlich, ohne es zu wollen, bei jedem Menschen, dem ich nahekam, eine allgemein, tiefschichtige mentale Ausstrahlung empfing; und was ich jetzt in Toni las, bestätigte das, was sie gesagt hatte. Sie liebte mich immer noch. Aber die Säure, ob nun Lyserg- oder Schwefelsäure, hatte eine erschreckende Kluft zwischen uns geätzt und dadurch unser Verhältnis zueinander korrumpiert. Es war eine Qual für sie, mit mir in ein- und demselben Zimmer zu sein. Da halfen keine noch so großen Überredungskünste. Ich erwog die verschiedensten Strategien, ich wollte vernünftig mit ihr diskutieren, sie mit sanften, ernsten Worten heilen. Unmöglich. Ganz und gar unmöglich. Im Kopf spulte ich ein Dutzend Testdialoge ab, aber alle endeten damit, daß Toni mich bat, aus ihrem Leben zu verschwinden. Also: das Ende. Sie saß beinahe reglos da, niedergeschlagen, mit bedrückter Miene, der breite Mund schmerzverkrampft, das strahlende Lächeln völlig erloschen. Sie wirkte auf einmal zwanzig Jahre älter. Von ihrer fremdartigen, exotischen Schönheit einer Wüstenprinzessin war nichts geblieben. Und jetzt, in ihrem Schmerz, war sie für mich plötzlich weitaus realer als zuvor. Lodernd vor Leiden, vom Kummer belebt. Und ich hatte keine Möglichkeit, zu ihr durchzudringen. »Wie du willst«, sagte ich ruhig. »Mir tut es auch leid.« Aus, vorbei; schnell, plötzlich, unerwartet kam die Kugel durch die Luft gepfiffen, rollte die Handgranate ins Zelt, fiel der Amboß aus dem blauen Himmel. Vorbei. Wieder allein. Und nicht mal Tränen? Kein Schreien und Weinen? Was soll ich schreien?
    Bob Larkin war während unseres Gespräches taktvoll und höflich in seinem mit verwirrenden, schwarz-weißen optischen Täuschungen tapezierten Foyer geblieben. Als ich aus dem Wohnzimmer kam, schenkte er mir wieder das sanfte, bekümmerte Lächeln.
    »Ich danke Ihnen, daß Sie mir erlaubt haben, Sie noch zu so später Stunde zu stören«, sagte ich.
    »Keine Ursache«, antwortete er. »Wirklich schade, das mit Ihnen und Toni.«
    Ich nickte. »Ja. Wirklich schade.«
    Unsicher standen wir einander gegenüber, dann trat er zu mir und grub flüchtig seine Finger in meine Armmuskeln. Kopf hoch, nimm dich zusammen, versuche dem Sturm zu trotzen, wollte er mir damit sagen. Seine Gedanken waren so offen, daß sich meine Fühler von selbst in seinen Geist senkten, und ich sah ihn, seine Güte, seine Freundlichkeit, seine Fürsorge. Und auch ein Bild kam mir entgegen, eine scharfe, verborgene Erinnerung: er selbst und eine schluchzende, verzweifelte Toni in der vorletzten Nacht, wie sie beide nackt in seinem modernen Rundbett lagen, ihr Kopf an seiner muskulösen, behaarten Brust geborgen, seine Hände ihre weißen, schweren Brüste streichelnd. Ihr ganzer Körper bebte vor Begehren. Seine widerstrebende, schlaffe Männlichkeit mühte sich redlich, ihr die Tröstungen des Sex zu verabreichen. Sein sanfter Geist lag im Kampf mit sich

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