Es stirbt in mir
überrumpelte ich sie so, daß sie nachgab. Na schön, sagte sie schließlich, dann komm her. Aber du verschwendest deine Zeit.
Es war beinahe Mitternacht. Die Sommerluft war schwer und klamm, eine Ahnung von bald einsetzendem Regen. Kein Stern stand am Himmel. Ich hastete quer durch die City, an den Dünsten der feuchten Stadt und an der Bitterkeit meiner zerstörten Liebe beinahe erstickend. Larkins Apartment lag im achtzehnten Stock eines riesigen, neuen Terrassenhauses aus weißem Backstein, ganz unten an der York Avenue. Als er mich einließ, sah er mich mit einem sanften, mitleidsvollen Lächeln an, als wolle er sagen: Du armes Schwein, man hat dir Schlimmes zugefügt, du blutest, und jetzt sollst du schon wieder verwundet werden. Er war ungefähr dreißig, untersetzt, ein Mann mit einem Kindergesicht, langen, wirren braunen Haaren und großen, unebenmäßigen Zähnen. Er strahlte Wärme, Mitgefühl und Freundlichkeit aus. Jetzt verstand ich, warum Toni in Krisen wie dieser bei ihm Hilfe suchte. »Sie ist im Wohnzimmer«, sagte er. »Gleich dort! links.«
Es war ein großes, tadellos gepflegtes, wenn auch ein wenig ausgefallen eingerichtetes Apartment, mit wilden Farbexplosionen an den Wänden, präkolumbianischen Artefakten in den von Punkt-Scheinwerfern beleuchteten Vitrinen, bizarren afrikanischen Masken, Chromstahlmöbeln – haargenau die Art von nicht alltäglicher Wohnung, die man im Magazin der Sunday Times findet. Das Wohnzimmer war der Mittelpunkt des Spektakels, ein weiter, weiß gestrichener Raum mit einem hohen Fenster mit Rundbogen, von dem aus man am anderen Ufer des East River die ganze Schönheit von Queens sehen konnte. Toni saß am gegenüberliegenden Ende des Zimmers in der Nähe des Fensters auf einer Eckcouch aus dunklem, goldgeflecktem Blau. Sie trug alte, schäbige Kleidungsstücke, die in krassem Gegensatz zu der eleganten Umgebung standen: einen mottenzerfressenen Pullover, den ich nicht ausstehen konnte, einen kurzen, altmodischen schwarzen Rock und eine dunkle Strumpfhose; sie war auf der Couch weit nach vorn gerutscht, saß lang zurückgelehnt, auf einen Ellbogen gestützt, so daß ihre Beine ungraziös in die Gegend ragten. In ihrer Hand hing eine Zigarette, in dem Aschenbecher neben ihr häuften sich die Zigarettenstummel. Ihre Augen blickten stumpf. Ihr langes Haar war wirr und unordentlich. Sie rührte sich nicht, als ich auf sie zuging, sondern war von einer Aura so starker Feindseligkeit umgeben, daß ich fünf Meter entfernt von ihr stehenblieb.
»Wo sind die Sachen, die du mir bringen wolltest?« fragte sie.
»Die existieren nicht. Ich habe das nur gesagt, weil ich dich sehen wollte.«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Was war der Grund, Toni?«
»Frag mich nicht! Bitte, frag mich nicht!« Ihre Stimme klang auf einmal ganz tief, ein bitterer, heiserer Kontraalt. »Du hättest überhaupt nicht herkommen sollen.«
»Wenn du mir nur sagen würdest, was ich getan habe…«
»Du hast versucht, mir weh zu tun«, sagte sie. »Du wolltest mich auf den Horror bringen.« Sie drückte die Zigarette aus und steckte sich unmittelbar darauf eine neue an. Ihre Augen, dunkel und verschattet, wichen den meinen aus. »Ich mußte endlich erkennen, daß du mein Feind warst, daß ich vor dir fliehen mußte. Also habe ich gepackt und bin gegangen.«
»Ich – dein Feind? Du weißt genau, daß das nicht stimmt.«
»Es war merkwürdig«, entgegnete sie. »Ich begreife nicht, was da passiert ist; ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die schon ’ne Menge Acid geschluckt haben, aber die begreifen es ebensowenig. Es war, als wären wir durch unseren Geist miteinander verbunden, David. Als hätte sich zwischen uns ein telepathischer Kanal geöffnet. Und alle möglichen Eindrücke kamen von dir zu mir herüber. Haß. Gift. Ich war gezwungen, deine Gedanken mitzudenken. Mich zu sehen, wie du mich sahst. Weißt du noch, daß du gesagt hast, du wärst auch auf einer Reise, obwohl du gar kein LSD genommen hattest? Und anschließend hast du mir gesagt, du könntest meine Gedanken lesen. Das war es, was mich so erschreckt hat. Wie plötzlich bei uns der Geist des einen mit dem des anderen ineinander zu verschwimmen, sich zu überlagern schien. Um eins zu werden. Ich hatte ja keine Ahnung, welche Wirkung Acid auf die Menschen haben kann!«
Das war mein Stichwort. Jetzt hätte ich ihr erklären müssen, daß es nicht nur die Droge, daß es keineswegs eine LSD-induzierte Täuschung war, sondern daß
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