Es stirbt in mir
Jahren an, in seltsamen Formaten, mit dünnen Plastikfolien überzogen! Sehen Sie doch, was man damals für nur 25 Cent bekam! Betrachten Sie die sinnliche Malerei, die grelle Schrift! Diese Science-Fiction-Schmöker datieren ebenfalls aus jener Zeit. Mit Haut und Haaren habe ich das Zeug verschlungen, weil ich hoffte, in den Fantasien Bradburys, Heinleins, Asimovs, Sturgeons und Clarkes Aufschlüsse über das Wesen meiner eigenen durcheinandergeratenen Seele zu finden. Sehen Sie, da ist Stapledons Odd John, dort Beresfords Hampdenshire Wonder, hier ein Buch mit dem Titel Outsider: Children of Wonder, vollgestopft mit Stories über kleine Superrangen mit außergewöhnlichen Gaben. In diesem letzten Werk habe ich eine Menge Passagen unterstrichen, vor allem die Stellen, wo meine Meinung von der des Autors abwich. Außenseiter? Diese Schriftsteller, und seien sie auch noch so begabt gewesen, waren die Außenseiter, die sich die Auswirkungen von Gaben vorzustellen suchten, die sie selbst nie besessen hatten; und ich, der Insider, der jugendliche Gedankenleser (das Buch stammt aus dem Jahr 1954) hatte ein Hühnchen mit ihnen zu rupfen. Sie übertrieben die Angst vor der Anomalie und vergaßen die Ekstase. Obwohl ich jetzt, wenn ich über Angst und Ekstase nachdenke, zugeben muß, daß sie wußten, was sie da schrieben. Freunde, meine Tage des Hühnchenrupfens sind vorbei. Dieses ist ein Rattenloch, in dem die Toten ihrer Hühnchen beraubt wurden.
Beachten Sie bitte, daß Seligs Lektüre im Laufe der Collegejahre differenzierter wurde. Joyce, Proust, Mann, Eliot, Pound, die ganze Hierarchie der alten Avantgarde. Die französische Periode: Zola, Balzac, Montaigne, Celine, Rimbaud, Baudelaire. Ein dickes Paket Dostojewskij, das das halbe Regal einnimmt. Lawrence, Woolf. Die Ära des Mystizismus: Augustmus, Thomas von Aquin, der Tao Te Ching, die Upanishaden, das Bhagavadgita. Die philosophische Zeit. Die marxistische Zeit. Unheimlich viel Koestler. Aber zur Literatur zurück: Conrad, Forster, Beckett. Und weiter zu den Sechziger Jahren: Bellow, Pynchon. Malamud, Mailer, Burroughs, Barth. Catch-22 und The Politics of Experience. O ja, Ladys und Gentlemen, Sie stehen staunend vor einem sehr belesenen Mann!
Hier haben wir seine privaten Akten. Eine Fundgrube von Personalien, die auf einen bis jetzt noch unbekannten Biographen warten. Schulzeugnisse, unweigerlich mit schlechten Noten in Betragen (»David zeigt sehr wenig Interesse an seiner Arbeit und stört immer wieder den Unterricht.«) Ungeschickt beschriebene Geburtstagskarten für die Eltern. Alte Fotos: Ist dieser dicke, sommersprossige Junge tatsächlich dasselbe hagere Individuum, das hier vor Ihnen steht? Da, der Mann mit der hohen Stirn und dem gezwungenen, starren Lächeln ist der verstorbene Paul Selig, Vater unseres Studienobjekts, dahingegangen (olav hasholom!) am 11. August 1971 aufgrund postoperativer Komplikationen nach einem Eingriff wegen eines Magengeschwürdurchbruchs. Die grauhaarige Frau mit den Basedowaugen ist die verstorbene Martha Selig, Pauls Ehefrau, Davids Mutter, dahingegangen (oy veh, mama!) am 15. März 1973 aufgrund einer wahrscheinlich bösartigen Geschwulst an einem inneren Organ. Die grimmige junge Lady da, mit dem messerscharfen Gesicht ist Judith Hannah Selig, Adoptivtochter von P. und M. ungeliebte Schwester des D. Datum auf der Fotorückseite: Juli 1963. Also muß Judith achtzehn Jahre alt sein und sich auf dem Gipfelpunkt ihres Hasses gegen mich befinden. Wie sehr sie auf diesem Bild Toni gleicht! Mir ist die Ähnlichkeit nie aufgefallen, aber sie haben wirklich beide das gleiche dunkle Jemenitengesicht, das gleiche lange, schwarze Haar. Doch Tonis Augen waren immer voll Liebe und Wärme – bis auf den letzten Tag, natürlich –, während ich in Judes Augen nichts als Eis fand, Eis, plutonisches Eis. Fahren wir mit der Inventur von David Seligs Privateigentum fort. Dies hier ist seine Sammlung von Essays und Semesterarbeiten, geschrieben sämtlich während der Collegezeit. (»Carew ist ein gepflegter, eleganter Dichter, dessen Arbeiten sowohl Jonsons präzisen Klassizismus als auch Donnes groteske Fantasie widerspiegeln – eine interessante Synthese. Seine Verse sind sauber konstruiert, mit abgezirkelter Diktion; in einem Gedicht wie Ask me no more where Jove bestows ist ihm eine perfekte Kopie von Jonsons harmonischer Feierlichkeit gelungen, während er in anderen, zum Beispiel in Mediocrity in Love Rejected oder Ingrateful
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