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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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gleichsetzen und erklären: ›Das Absurde gehört nicht zu den Faktoren, die im Rahmen des Verstehens diskriminiert werden können; es ist nicht identisch mit dem Unwahrscheinlichen, dem Unerwarteten, dem Unvorhergesehenen.‹ Meine eigenen Erfahrungen mit dem Absurden… Sehr geehrter Mr. Shakespeare: Wie zutreffend drücken Sie sich aus, wenn Sie sagen: ›Liebe ist nicht Liebe, die sich ändert, wenn sie Änderungen findet, oder sich, dem Entferner folgend, entfernt.‹ Ihr Sonett fordert jedoch die Frage heraus: Wenn Liebe nicht Liebe ist, was ist es dann, dieses Gefühl des Einander-Nahestehens, das seltsamerweise ganz unerwartet durch eine Geringfügigkeit zerstört werden kann? Könnten Sie nicht einen alternativen Existentialmodus zur Kommunikation mit anderen finden, der… Da sie jedoch flüchtig sind, das Produkt unsteter Impulse, und darüber hinaus auch oft unverständlich, haben wir keinen zufriedenstellenden Zugang zu solchen Kommunikationen, wie Selig sie bisweilen zu Hunderten pro Stunde herstellt. Sehr geehrter Mr. Justice Holmes: Im Prozeß Southern Pacific Co. gegen Jemen, 244 U.S. 205, 221 (1917) entschieden Sie: ›Ich bekenne ohne Zögern, daß Richter die Gesetze anwenden und anwenden müssen, aber sie können das nur interstitiell; sie sind gebunden von der Massen- bis zur Molekularbewegung.‹ Diese großartige Metapher ist mir, wie ich gestehen muß, nicht ganz klar, und…
    Sehr geehrter Mr. Selig!
    Der gegenwärtige Zustand der Welt und die Gesamtheit des Lebens ist krank. Wäre ich ein Arzt und man bäte mich um meinen Rat, würde ich erwidern: Schafft Schweigen.
    Hochachtungsvoll
Ihr
Sören Kierkegaard 1813-1855
    Und dann sind da diese drei Aktenordner aus dicker, beigefarbener Pappe. Die sind dem Publikum nicht zugänglich, denn sie enthalten Briefe weitaus persönlicherer Natur. Nach den Vorschriften der David-Selig-Stiftung darf ich daraus nicht einmal zitieren, sondern höchstens frei wiedergeben. Es handelt sich um seine Briefe, die er an die Mädchen geschrieben hat, die er liebte oder zu lieben glaubte, und um Briefe dieser Mädchen an ihn. Der erste stammt aus dem Jahr 1950 und trägt über dem Briefkopf in dicken, roten Lettern die Aufschrift NICHT ABGESCHICKT. Liebe Beverly, beginnt er, und dann folgen peinlich detaillierte sexuelle Fantasien. Was können Sie uns über diese Beverly erzählen, Selig? Nun ja, daß sie klein, niedlich und sommersprossig war, mit großen Titten und einem sonnigen Gemüt, daß sie in Biologie vor mir saß und eine schauderhafte Zwillingsschwester besaß, die Estelle hieß, immer finster dreinblickte und aufgrund einer seltsamen Laune der Natur ebenso platt war wie Beverly ausladend. Vielleicht war ihre Miene deswegen so finster. Estelle liebte mich auf ihre bittere, düstere Art und hätte früher oder später wohl auch mit mir geschlafen – was meinem fünfzehnjährigen Ego ungeheuer gutgetan hätte –, aber ich verabscheute sie. In meinen Augen war sie eine pickelige, schlechte Imitation von Beverly, die wiederum ich liebte. Immer wieder wanderte ich mit bloßen Füßen in Beverlys Gedanken herum, während Miß Mueller, unsere Lehrerin, über Mitose und Chromosomen quatschte. Sie hatte Victor Schlitz, dem großen, kräftigen Jungen mit den grünen Augen und den roten Haaren, der neben ihr saß, gerade ihre Jungfräulichkeit geopfert, und so lernte ich von ihr eine Menge Sex aus zweiter Hand und nach einer Pause von zwölf Stunden wieder, denn jeden Vormittag strahlte sie Nachrichten über ihr Abenteuer mit Victor am Abend zuvor aus. Ich war keineswegs eifersüchtig auf ihn. Er sah gut aus, war selbstbewußt und verdiente ein so nettes Mädchen; außerdem war ich ohnehin viel zu schüchtern und unsicher, um es mit einem Mädchen zu treiben. Also erlebte ich ihre Romanze sozusagen im Huckepack mit und malte mir aus, wie es wäre, wenn ich mit Beverly all die verrückten Dinge triebe, die Victor mit ihr anstellte – so lange, bis ich mich verzweifelt danach sehnte, selber mit ihr zu schlafen, doch meine Sondierungen ihrer Gedanken ergaben, daß sie sich aus mir nichts machte, daß sie mich lediglich für ein amüsantes, etwas gnomenhaftes Kind, eine Kuriosität, einen Hofnarren hielt. Wie also an sie herankommen? Ich schrieb ihr diesen schönen Brief, in dem ich bis ins kleinste, schweißgetränkte Detail alles beschrieb, was sie und Victor getrieben hatten, und schloß: Und jetzt rate mal, woher ich das alles weiß. Ha, ha, ha! Was natürlich

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