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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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möglich sei, daß diese Form nicht die richtige für mich sei. Er war gekränkt. Er hielt mir Vorträge über Angst vor Engagement, über Selbstzerstörung und so weiter. Mittendrin sah ich ihn mir einmal genau an und erkannte in ihm eine Art Vaterfigur; du weißt schon, groß, würdevoll und streng, nicht Geliebter, sondern Mentor, Lehrer, und das wollte ich nicht. Ich überlegte, wie er in zehn, zwölf Jahren wohl sein würde. Dann wäre er in den Sechzigern, ich aber wäre noch ziemlich jung. Und da wurde mir klar, daß es für uns keine gemeinsame Zukunft gibt. Ich erklärte es ihm so behutsam ich konnte. Er hat sich seit zehn Tagen nicht mehr gemeldet. Wahrscheinlich meldet er sich überhaupt nicht mehr.«
    »Das tut mir leid.«
    »Nicht nötig, Dav. Es war richtig so, davon bin ich überzeugt. Karl hat mir gutgetan, aber das konnte nicht dauern. Meine Karl-Phase. Eine sehr gesunde Phase. Der Witz ist nur der, daß man eine Phase nicht zu lange weiterlaufen lassen darf, wenn man einmal eingesehen hat, daß es vorbei ist.«
    »Ja«, sage ich, »natürlich.«
    »Möchtest du noch etwas Rum?«
    »Später.«
    »Was ist denn mit dir?« erkundigt sie sich. »Erzähl’ mir von dir. Wie es dir geht, nun, da du… nun, da du…«
    »Nun, da meine Supermann-Phase vorüber ist?«
    »Ja«, sagt sie. »Es ist wirklich vorbei, nicht wahr?«
    »Ja. Endgültig. Das steht fest.«
    »Ja und, Dav? Wie ist es dir ergangen, seit das so ist?«
    Gerechtigkeit. Man hört soviel über Gerechtigkeit, Gottes Gerechtigkeit. Er sorgt für die Gerechten. Er straft die Gottlosen. Gerechtigkeit? Wo ist Gerechtigkeit? Wo ist überhaupt Gott? Ist ER wirklich tot, oder ist er nur auf Urlaub, oder ist er nur geistesabwesend? Seht euch Seine Gerechtigkeit an! Er schickt Überschwemmungen nach Pakistan. Zwar, eine Million Tote, der Ehebrecher wie die Jungfrau. Gerechtigkeit? Vielleicht. Vielleicht waren die angeblich unschuldigen Opfer gar nicht so unschuldig. Zack, die selbstlose Nonne von der Leprastation steckt sich mit Lepra an, und über Nacht verliert sie ihre Lippen. Gerechtigkeit. Zack, die Kathedrale, an der die Gemeinde während der vergangenen zweihundert Jahre gebaut hat, wird am Tag vor Ostern von einem Erdbeben in Trümmer gelegt. Zack. Zack. Gott lacht uns allen ins Gesicht. Ist das Gerechtigkeit? Wo? Wie? Ich meine, betrachten Sie meinen Fall. Ich will keineswegs Ihr Mitleid erwecken; ich bin ganz und gar objektiv. Wissen Sie, ich habe ja nicht darum gebeten, ein Supermann zu sein. Es wurde mir im Augenblick meiner Empfängnis auferlegt. Gottes unbegreifliche Laune. Eine Laune, die mich zeichnete, mich formte, mich mißbildete, mich verwirrte, und das unverdient, unerbeten, absolut unerwünscht, es sei denn, man wollte mein genetisches Erbteil als das negative Karma eines anderen betrachten, und darauf scheiße ich. Es war eine Zufallslaune. Gott sagte: Dieses Kind werde ein Supermann, und siehe da, der junge Selig war ein Supermann – in einem ganz begrenzten Sinn dieses Wortes. Eine Zeitlang, jedenfalls. Gott setzte mich allem aus, was mir geschah: der Isolierung, dem Leiden, der Einsamkeit, sogar dem Selbstmitleid. Gerechtigkeit? Wo? Der Herr gibt, warum, weiß der Teufel, und der Herr nimmt. Welches er nunmehr an mir getan hat. Die Gabe ist fort. Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch, wie Sie und Sie und Sie. Mißverstehen Sie mich nicht: Ich akzeptiere mein Schicksal, ich habe mich vollkommen damit ausgesöhnt, ich möchte NICHT, daß Sie mich bemitleiden. Ich möchte nur ein bißchen Sinn da hineinbringen. Wer bin ich, nun, da meine Gabe nicht mehr existiert? Wie soll ich mich definieren? Ich habe meine Spezialität, meine Gabe, meine Wunde, meinen Grund zum Absondern verloren. Alles, was mir geblieben ist, ist die Erinnerung daran, anders gewesen zu sein. Die Narben davon. Was soll ich machen? Wie soll ich nun, da der Unterschied nicht mehr existiert, ich aber immer noch existiere, mit der Menschheit Verbindung aufnehmen? Sie starb, ich lebe weiter. Welch seltsames Schicksal du mir auferlegt hast, Gott. Verstehe bitte, ich protestiere nicht. Ich stelle nur Fragen, in ruhigem, vernünftigem Ton. Ich frage nach dem Wesen der göttlichen Gerechtigkeit. Ich glaube, Goethes alter Harfenist hatte dich erkannt, Gott. Du fuhrst uns ins Leben, du läßt den armen Menschen schuldig werden, und dann überläßt du ihn seinem Elend. Denn alle Schuld wird auf Erden vergolten. Das ist eine begründete Klage. Du besitzt die höchste

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