Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
nach Kräften, ihre Gefühleunter Kontrolle zu bringen. Gretel spürte, dass die nächsten Schluchzer nur Sekunden entfernt waren.
»Ich habe aber«, fuhr sie deshalb hastig fort, »auch gute Neuigkeiten. Sogar sehr gute.« Sie griff in den Beutel. »Da ist jemand, von dem ich annehme, er wird sich sehr freuen, wieder zu Hause zu sein.« Sie hob Seppl aus dem Sack. Das Jungtier war immer noch schläfrig und klammerte sich auf kätzchenhafte Art an dem flauschigen Flickenkissen fest, als wollte es lieber sterben, als davon abzulassen. Gretel reichte es, immer noch auf dem Kissen klebend, der nunmehr strahlenden Frau Hapsburg.
»Seppl! Ach, mein lieber kleiner Seppl!«, rief sie, legte sich das Kissen auf den Schoß und badete die leicht benommene Katze in Tränen und Küssen.
Gretel trat zurück und gestand sich ein, dass der erfolgreiche Abschluss eines Auftrags unzweifelhaft eine gewisse Zufriedenheit mit sich brachte. Dem Anblick einer alten Dame, wieder vereint mit dem geliebten Haustier, haftete etwas unentrinnbar Herzerwärmendes an. Und die beiden gaben so oder so ein liebreizendes Bild ab, wie sie da in dem riesigen Lehnsessel saßen. In dem Sonnenschein, der zum Fenster hereindrang, leuchtete Seppls zartes, silbrig getigertes Fell, und die Farben des Flickenkissens schillerten. Gretels Herz tat einen Sprung. Die Farben schillerten eindeutig. Prachtvolle, üppige Farbflecken von einer Art, wie man sie nur in der Natur finden konnte. Die Kupfer- und Bronzetöne und das Tiefbraun von Schildpatt. Dazu ein glänzendes Rot, das außerordentlich vorteilhaft mit winzigen weißen Flecken kontrastierte.
*
Zwei Tage später lag Gretel auf ihrem Sofa und pendelte segensreich zwischen Schlaf und Wachsein hin und her. Nach ihrer Rückkehr hatte sie mehrere Stunden bei Madame Renoir zugebracht und die allerwichtigsten Reparaturen vornehmen lassen. Hernach hatte sie sich einer strikten Kur unterzogen, bestehend aus Ruhen und Speisen, die vermutlich noch eine Weile fortgesetzt werden sollte. Und sie hatte sich selbst in Erstaunen versetzt, indem sie General Ferdinands Einladung zum Abendessen ausgeschlagen hatte. Ein bisschen zu früh, nach ihrem Gefühl. Ein bisschen zu rasch nach all den erschöpfenden Ereignissen der vorangegangenen Tage.
Besser, sie zögerte es hinaus, nur ein kleines bisschen. Besser, sie nahm sich Zeit, um sich vollständig von den auszehrenden Mühen zu erholen, die ihre Arbeit ihr aufgebürdet hatte. Und vor allem: besser, sie erschien nicht gar zu eifrig.
Mit einem zufriedenen Seufzer streckte sie sich. In der Küche summte Hänsel vor sich hin. Der Duft eines bevorstehenden, herzhaften Mittagessens drang ihr in die Nase. Viele Male war Gretel die Ereignisse im Schloss des Riesen im Kopf durchgegangen, und noch lieber hatte sie sich jenen Augenblick in Erinnerung gerufen, in dem Frau Hapsburg ihr bereitwillig ein großes Bündel Scheine zur Begleichung ihrer Rechnung überreicht hatte. Obwohl sie zweier Katzen beraubt geblieben war, hatte die Freude über Seppls Rückkehr sie überwältigt, und diese Freude hatte sich im Umfang der großzügigen Bonuszahlung widergespiegelt, die sie Gretel hatte zukommen lassen.
Was das betraf, war Gretel durchaus nicht der Ansicht, sie hätte den Bonus nicht verdient, obwohl sie die Sorge unterdrücken musste, ihre Auftraggeberin könnte eines Tages womöglich herausfinden, dass auch Luitpold und Floribundanach Hause zurückgekehrt waren, wenn auch in etwas veränderter Gestalt.
Gerade wollte sie ihre Seidenkissen für ein nettes Vormittagsschläfchen aufschütteln, als ein gewaltiges Hämmern die Haustür erbeben ließ. Es war so laut und heftig, Gretel wäre beinahe vom Sofa gefallen. Ihr blieb kaum Zeit, sich vom Schreck angesichts dieser rüden Störung ihres Schlummers zu erholen, denn kurz darauf ertönte ein wütendes Gebrüll.
»Aufmachen! Im Namen König Julians!«
»Kruzitürken!« Gretel mühte sich auf die Beine und zog die Kordel ihres Hausmantels über dem Bauch fest. »Nicht schon wieder. Was denn jetzt noch? Nachdem doch General Ferdinand von Verlass-dich-auf-mich-Ferdinand hoch und heilig versprochen hat, man würde mich in Ruhe lassen …! Werde ich in meinen eigenen vier Wänden denn niemals Frieden finden?«
Sie stampfte durch den Flur, spuckte unterwegs in den Spucknapf, ohne im Schritt innezuhalten, und riss die Tür auf.
»Was soll das bedeuten?«, verlangte sie zu erfahren. »Ihr solltet wissen, dass dies die dritte Eingangstür
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