Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
sicher«, entgegnete Gretel und gestattete sich ein kaum wahrnehmbares Lächeln. In ihren Augen war Inge eine teuflische Kreatur, und es fiel ihr schwer, sie nicht in Verlegenheit zu bringen, wenn sich die Gelegenheit bot.
»Gute Frauen«, sagte der Riese und lud sich die Katzenkörbe auf die mächtigen Arme, »wenn ihr fo nett wäret, mir fu folgen …«
So sprach er und führte sie hinaus aus dem wunderbaren Salon. Nun ging es einen weiteren, gewundenen Gang hinauf. Gretel fiel auf, dass dieser mit hohen Fenstern ausgestattet war, die aus dem Fels herausgehauen waren und Tageslicht ins Innere ließen. Bald erreichten sie eine Doppeltür, hinter der es vernehmlich maunzte. Dies war, so schien es, der Ort, an dem die glücklosen Katzen eingekerkert waren. Gretel wappnete sich für was immer hinter den Türen zum Vorschein kommen würde. Zum zweiten Mal in nur einer halben Stunde stellte sie fest, dass sie von völlig falschen Vorstellungen ausgegangen war. Wieder stand sie mit herabhängender Kinnlade da und starrte in den luxuriösen, prunkvollen Raum, der vor ihr lag. Dies war keine Todeszelle, kein stinkender Kerker, in dem die Katzen Mangel und Hunger leiden mussten, ehe sie für ihren ultimativen Zweck auserwählt wurden. Nein, der Raum war, so schien es, mit Blick auf alle nur denkbaren Marotten und Gelüste erbaut worden, die eine Katze hinsichtlich Bequemlichkeit und Wohlbehagen nur haben konnte – wäre sie dennimstande, dergleichen zu äußern. Da gab es Federmatratzen, überzogen mit weichstem Samt. Voll ausgewachsene Bäume zum Klettern und Klauenwetzen. Tische, eingedeckt mit Tellern voller Futter, bei deren Anblick selbst Gretel das Wasser im Munde zusammenlief. Wollbälle und aufziehbare Mäuse und ausgefranste Bänder für Leibesübungen und Zeitvertreib.
Der Riese entließ die jüngsten Neuerwerbungen für seine Sammlung aus ihren Körben und schaute zu, als die Tiere ihre neue, wundervolle Umgebung erkundeten. Inge und Gretel wechselten verblüffte Blicke, für einen Moment geeint von der gemeinsamen Fassungslosigkeit. Ihr Gastgeber legte einen Finger an die Lippen, um sie darauf hinzuweisen, dass sie die Kätzchen nicht länger stören sollten, ehe er die beiden Frauen aus der tierischen Zuflucht hinausführte. Dann brachte er sie noch weiter nach oben, bis sie eine auf den ersten Blick unscheinbare Tür am Ende einer kurzen, mit Teppich ausgelegten Treppe erreichten. Dort angekommen zog er einen goldenen Schlüssel aus seinem Wams, drehte ihn im Schloss und stieß die Tür auf. Und wieder ertappte sich Gretel beim Gaffen und klappte hastig den Mund zu. Allerdings war die Pracht, die sich ihnen hier offenbarte, in der Tat Ehrfurcht gebietend.
»Mein Schatf, meine Damen«, sagte der Riese, senkte den Arm tief herab und machte eine langsame, raumgreifende Geste. »Bitte, feht euch um, ftöbert, genieft. Ich überlaffe ef euch, die Dinge auftfuwählen, die ihr als Betfahlung für die Schätfe wünscht, die ihr mir gebracht habt. Lafft euch nur Tfeit. Ich schaue dann und wann nach euch.«
Gretel verspürte einen sachten Stupser, als der Riese die Frauen ermunterte, den Raum zu betreten. Dann drückte er die Tür zu und schloss ab, und seine donnernden Schritte entfernten sich über Treppe und Gang. Gretel war immer nochsprachlos. Inge dagegen war mühelos imstande, sich deutlich Ausdruck zu verschaffen.
»Ja, leck mich doch mit rauer Zunge am Arsch!«, rief sie, ehe sie sich mit dem Gesicht voran in den größten Stapel Goldmünzen stürzte und in den klimpernden und klirrenden Dublonen und Goldstücken wühlte, wobei sie unentwegt ein lustvolles, wenn auch vage hysterisches gackerndes Gelächter von sich gab.
Gretels Reaktion auf Aladins Höhle der Wunder war verhaltener, doch sie war nicht minder verblüfft. Sie wandelte zwischen Truhen und Kisten voller Münzen, kostbaren Artefakten und Juwelen einher und stellte fest, dass es ihr schwerfiel, irgendeinen dieser Schätze auf Katzenwährung umzurechnen. Vielleicht eine Handvoll Opale? Ein paar Goldkelche? Ein Sekretär aus Elfenbein? Sie griff nach einer Perlenkette. Jede einzelne Perle war makellos und groß wie das Ei eines Rotkehlchens. Die cremeweißen Kugeln fühlten sich in ihrer Hand angenehm kühl an und noch kühler, als sie sich die Kette um den Hals legte und den Verschluss einhakte.
»Nie in meinem ganzen Leben«, verkündete Inge, »habe ich solche Reichtümer gesehen.« Sie schnappte sich eine Handvoll Münzen und
Weitere Kostenlose Bücher