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Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)

Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)

Titel: Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Brackston
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anbrüllen würde. Doch als die Stimme des Riesen ertönte, erkannte Gretel voller Erstaunen, dass besagte Stimme süß und hell klang, beinahe sanft, und die Aussprache war bemerkenswert kultiviert. Die Wirkung verstärkte sich noch durch ein ausgeprägtes Lispeln.
    »Wer ift da?«, fragte der Riese. Dann fixierte er Gretel undversuchte es noch einmal: »Wer bift du und waf führt dich tfu diefer frühen Stunde tfu meinem Schloff, Fräulein?«
    Es schien, als hätte Gretels eigene Stimme die Flucht ergriffen. Sie räusperte sich und zwang sich zu sprechen.
    »Katzen«, würgte sie endlich hervor. »Ich bringe Katzen.«
    Das Auge am Fenster weitete sich. Eine ganze Minute lang wurden Riegel zurückgezogen und Schlüssel gedreht. Endlich, begleitet von einem lauten Knarren, das sich anhörte wie in einer Gruft, wurden die Türflügel geöffnet. Der Riese stand auf der Schwelle, so groß und beängstigend, wie Gretel befürchtet hatte, aber erheblich besser gekleidet. Gewiss, sein Kopf war knollig und missgestaltet, aber das Schlimmste hatte er unter einem quastengeschmückten, scharlachroten Fes versteckt. Zugegeben, sein Körper war erschreckend groß und muskulös, aber sein virtuos geschneiderter Anzug aus feinster Wolle mit dem zarten, zitronengelben Karomuster, das grüne Samtwams, die prachtvolle Uhrenkette samt Taschenuhr, die bestickten Pantoffeln und die getüpfelte Krawatte   – dies alles trug seinen Teil dazu bei, ihn durchaus präsentabel erscheinen zu lassen. Akzeptabel. Konfrontabel.
    Erleichterung überkam Gretel und verstärkte ihre Entschlossenheit. Schließlich wagte sie ein kleines, geschäftsmäßiges Lächeln und neigte den Kopf ein ganz klein wenig zur Seite.
    »Guten Morgen, Herr Riese«, sagte sie.
    »Bitte«, der Riese beugte sich tief herab und war damit immer noch doppelt so groß wie Gretel, »komm herein. Du bift mir in meiner befeidenen Behaufung überauf willkommen.«

12
    Der Flur in der Behausung des Riesen erinnerte mehr an eine Höhle als an ein Schloss. Die Wände waren aus Stein, solide und schmucklos, abgesehen von den flackernden Fackeln, die auf einer Höhe befestigt waren, von der aus ihr unsteter Lichtschein kaum den Boden erreichte. Der Riese forderte Gretel auf, ihm zu folgen. Sie gingen durch einen breiten, hohen Gang, der aufwärts in das Innere des Berges führte. Bei jedem mächtigen Schritt, den ihr Gastgeber tat, bebte der Boden. Gretel war froh, dass der Riese die Pantoffeln trug, die wenigstens die Geräusche dieses furchterregenden Getrampels ein wenig dämpften.
    Endlich kamen sie zu einer anderen Tür. Wenngleich zweckmäßig hoch, war sie zugleich elegant und in keiner Weise wehrhaft. Sie führte in einen Raum, so geschmackvoll möbliert, so erlesen dekoriert, so exquisit ausgestattet, dass Gretel der Atem stockte. Sie ertappte sich dabei, ihre Umgebung offenen Mundes zu begaffen und dabei fast zu vergessen, wo sie war und aus welchem Grund.
    Der Riese bemerkte ihren Gesichtsausdruck und war offensichtlich erfreut, sie so beeindruckt zu sehen.
    »Wie ich fehe, weift du Schönheit zu schätfen, Fräulein«, sagte er, wobei seine Miene eine gewisse Verwunderung über Gretels schmuddeligen, unattraktiven Putz offenbarte.
    Sie musste aufpassen, sich nicht zu sehr zu verraten.
    »Ich war nicht immer so, wie Ihr mich nun zu sehen bekommt, Herr Riese«, erzählte sie ihm. »Erst jüngst bin ich vomPferd auf den Esel gekommen. Darum auch meine Entscheidung, diese Katzen zu besorgen, in der Hoffnung, dass Ihr mir einen guten Preis für die Tiere bezahlt.«
    »Und wer hat dir gefagt, daff ich Bedarf an diefen Kreaturen habe?«
    Sie zögerte und lieferte ihm schließlich eine recht schwammige Erklärung: »Ich komme aus Gesternstadt. In solch einer kleinen Gemeinde bleibt nichts lange geheim.«
    Der Riese nickte, streckte eine mächtige Hand aus und winkte ihr ungeduldig, ihm den Korb mit den Katzen zu reichen. Sie studierte das Ungeheuer eingehend, als es den Korb an sich nahm. Mit großer Sorgfalt und Sanftmut holte der Riese eine nach der anderen Katze heraus und nahm sie genau in Augenschein. Er untersuchte die Farbe und Qualität ihres Fells, aber auch den Glanz ihrer Augen und die Festigkeit ihrer Glieder, was Gretel überraschend fand.
    Während er mit der Begutachtung der Katzen beschäftigt war, nutzte sie die Gelegenheit, sich ausgiebiger in dem bemerkenswert schönen Raum umzusehen. Nichts war geblieben von den primitiven Fackeln und den kahlen Wänden.

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