Es wird Dich rufen (German Edition)
sich doch. Ich verstehe gar nicht, was heute Morgen los ist! Gestern Abend war doch noch alles klar bei Ihnen!«
»Gestern Abend ...?«, fragte Mike, der nun deutlich resigniert war. »Logo! Sie waren total gestresst. Das habe ich gemerkt. Aber trotz des Zeitdrucks waren Sie da noch richtig gut drauf.«
»Zeitdruck?«
Der Redakteur hatte inzwischen Mühe, einen zusammenhängenden Satz zustande zu bringen. Ihm kamen nur noch einzelne Wortfetzen über die Lippen.
»Na ja, weil Sie doch den einen Artikel nicht rechtzeitig fertigbekommen haben, wissen Sie noch?«
Mike seufzte. Er war fassungslos. Mittlerweile erschien es ihm vollkommen sinnlos, sich zu wehren. Vielmehr begann er, an seinem Verstand zu zweifeln.
Musste er sich an den Gedanken gewöhnen, dass er einen Blackout gehabt hatte, dass er nicht mehr wusste, was er getan hatte? So, als habe er unter Drogen gestanden, ohne es zu merken?
»Wegen des Artikels hab ich doch extra noch den ganzen Druck gestoppt.«
Hätte Seitz seinem Kollegen Dornbach gegenübergestanden, so hätte er in diesem Augenblick miterleben können, wie dem Journalisten innerhalb weniger Sekunden jede Farbe aus dem Gesicht wich.
Leichenblass und regungslos saß er, den Telefonhörer krampfhaft mit seiner rechten Hand umklammernd und fest ans Ohr pressend, auf seinem Stuhl.
»Sie hatten doch extra angerufen, weil Sie da noch etwas Brandheißes auf der Pfanne hatten, das unbedingt noch ins Blatt rein musste. Deswegen haben wir gestern Abend doch noch gewartet.«
»Gewartet …? Angerufen ..? Ich …?«, stammelte Mike.
»Sagen Sie mal, haben Sie was getrunken?« Seitz wirkte nun seinerseits verwirrt – und besorgt. »Sie werden doch wohl noch wissen, was gestern Abend war? Das ist doch keine fünfzehn Stunden her, Mensch!«
»Verdammt noch mal! Ich kann doch nicht verrückt geworden sein!«, sprach Mike leise vor sich hin. Er war verzweifelt. Mit seiner linken Hand wischte er die Schweißperlen ab, die sich auf seiner Stirn gebildet hatten.
»Das kann doch alles nicht wahr sein!?«
Jede weitere Diskussion erschien ihm zwecklos.
Welchen Sinn machte es noch, nach einem externen Verschwörer zu suchen, wenn er – aller Theorien zum Trotz – ganz offensichtlich doch selbst für diesen Schlamassel verantwortlich war? Nur: Weshalb konnte er sich dann an nichts mehr erinnern? War er womöglich tatsächlich unter Drogen gesetzt worden, ohne es zu merken? Oder wäre eine derartige Erklärung nur ein weiteres Argument für eine Verschwörungstheorie, die sich am Ende als irreales Konstrukt herausstellte?
Vollkommen fertig mit den Nerven, legte Mike auf, ohne einen weiteren Kommentar von sich zu geben oder sich bei Seitz für die erhaltene Auskunft zu bedanken.
Konnte es denn wirklich sein, dass ihn die Trennung von seiner Freundin so dermaßen aus der Bahn geworfen hatte, dass er nun beinahe schon schizophren geworden war? Aber wie anders als mit einem gewaltigen Blackout ließe sich dieser Vorfall vernünftig erklären? Mike hatte am Abend zuvor weder etwas getrunken noch sonst etwas getan, das einen derartigen Gedächtnisverlust auch nur annähernd erklären würde.
Angestrengt dachte er darüber nach, was sich an diesem schicksalhaften Vorabend wirklich ereignet hatte – nachdem er sein Büro verlassen hatte. Bestürzt nahm er zur Kenntnis, dass selbst die Erinnerungen, die bis vor Kurzem noch vollkommen klar in seinem Kopf gewesen waren, nun immer undeutlicher wurden und verschwammen. Was er bis vor wenigen Minuten noch mit absoluter Sicherheit beschworen hätte, verzerrte sich nun bis zur Unkenntlichkeit.
War er tatsächlich gleich nach Hause gegangen oder war er doch noch einmal in sein Büro zurückgekehrt?
Er wusste es nicht mehr. Sein Kopf schmerzte und es fiel ihm plötzlich unendlich schwer, sich zu konzentrieren.
Mike war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig.
Er schluckte, während er vorsichtig auf seine rechte Hand biss. Eine Träne, die sich in seinem Auge gebildet hatte, bahnte sich ihren Weg über die Wange.
Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem er sich endgültig eingestehen musste, dass er sich in den letzten Tagen zu viel zugemutet hatte. Zuerst die unerwartete Trennung von seiner großen Liebe, dann die allabendlichen Touren durch Kneipen und Bars mit Freunden und Kollegen, mit deren Hilfe er den Trennungsschmerz ebenso zu verdrängen versuchte, wie durch die immense Arbeitswut, die ihn zuletzt gepackt hatte. Es machte ganz den Anschein, als
Weitere Kostenlose Bücher