Es wird Dich rufen (German Edition)
als er es in seinen kühnsten Träumen erwartet hätte.
Schuld daran war ein älterer, untersetzter Mann von höchstens 1,65 Metern Größe. Obwohl es draußen knapp über 30 Grad heiß war, trug er eine lange schwarze Hose, einen weißen Rollkragenpullover und ein dunkelblaues Jackett – was nicht ohne Folgen blieb: Der Schweiß stand ihm nicht nur auf der Stirn, auch seine Kleider waren völlig durchgeschwitzt.
Eigentlich hätte niemand Notiz von ihm genommen, wenn er nicht völlig außer Atem in das kleine Café gestürmt wäre, ganz so, als würde er sich nach einem quälend langen 1 000-Meter-Lauf gerade noch ins Ziel retten.
Hinter ihm fiel die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss.
Der Wirt, der zuvor noch die Ruhe in Person gewesen war, schreckte auf und sah den Mann scharf an: »Mon Dieu! Qu´est-ce que c´est?«, schrie er. Was, um Gottes willen, ist da los?
Urplötzlich verstummten die Gespräche der Café-Besucher. Alle starrten fragend auf den Mann.
Was ist das für ein komischer Vogel, dachte Mike.
Eine Weile beobachtete er den Mann dabei, wie er fieberhaft das Café absuchte. Und noch ehe er sich richtig klar wurde, wen oder was der ältere Herr hier zu finden hoffte, kam dieser bereits auf ihn zu.
Doch erst als der Unbekannte direkt vor seinem Tisch stehen blieb und ihn prüfend anschaute, begriff Mike, dass dieser Mann tatsächlich zu ihm wollte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass an dessem Jackett ein kleines silbernes Kreuz heftete, nicht viel größer als fünf Zentimeter. Er wirkte dadurch wie ein Priester.
In seiner rechten Hand hielt er einen verschlossenen Umschlag.
»Sie sind Monsieur Dornbach?«, fragte der Mann in einwandfreiem Deutsch mit leichtem französischen Akzent.
Die Gäste des Cafés widmeten sich inzwischen wieder ihren Gesprächen, der stürmische Auftritt des älteren Mannes hatte für sie an Interesse verloren.
»Kennen wir uns?«, fragte Mike irritiert.
»Das ist nicht von Bedeutung. Es reicht, dass ich Sie kenne.«
Immer wieder blickte sich der Mann nervös um und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Das Atmen fiel ihm weiterhin schwer.
Mike bot ihm an, sich zu ihm zu setzen und ein wenig auszuruhen – auch um ihn bei dieser Gelegenheit zu fragen, weswegen er es offensichtlich so eilig gehabt hatte, ihn zu treffen; einen Menschen, mit dem er sich nicht verabredet hatte und den er eigentlich auch nicht kennen konnte. Sein Gegenüber schien es aber so eilig zu haben, dass dafür keine Zeit blieb. Stattdessen streckte er Mike den Umschlag entgegen.
»Nehmen Sie ihn!«
Reflexartig griff Mike zu.
»Und was soll ich damit?«, fragte er.
»Passen Sie gut darauf auf! Ich hole ihn gleich wieder ab. Dann reden wir!«
Mehr sagte der Mann nicht. Durch das Fenster schien er etwas entdeckt zu haben, das ihm sichtlich Angst bereitete.
Ohne sich zu verabschieden oder zu präzisieren, was er unter »gleich« verstand, wendete sich der Mann von Mike ab und eilte Richtung Hinterausgang. Dabei stolperte er unglücklich über einen Stuhl und fiel zu Boden. Laut fluchend stand er wieder auf, humpelte an der Theke vorbei, um durch den Hinterausgang das Café zu verlassen.
Sein Sturz hatte ein zweites Mal binnen weniger Minuten die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen. Und dieses Mal blieb bei den wenigsten Studenten ein schadenfreudiges Lachen über das Missgeschick des Mannes aus.
Auch Mike konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Als der Mann wenige Augenblicke später verschwunden war, widmete sich der Redakteur neugierig dem Briefumschlag, der handelsüblich aussah. Auf den zweiten Blick aber registrierte Mike ein seltsames Siegel auf der Vorderseite, das offensichtlich in das Papier eingebrannt war. Es sah aus wie eine rote Schlange, die einen Kreis bildete, indem sie sich in den Schwanz biss. In der Mitte war eine Art Ziffernblatt abgebildet, das statt der Ziffern jedoch seltsame Symbole aufwies. Sie erinnerten Mike an Zeichen, die er einmal unter der Rubrik »Horoskope« in einer Zeitschrift gesehen hatte. Außerdem befand sich auf dem Siegel ein Schriftzug in lateinischer Sprache: »Benedictio Sacratissimi«. Auf die Rückseite des Briefes waren handschriftlich zwei Namen notiert, die schwer lesbar waren:
» Bérenger Saunière « und » Rennes-le-Château «.
Wahrscheinlich handelte es sich bei dem ersten Namen um den Empfänger des Briefes oder aber um den Namen jenes Mannes, der ihm gerade den Umschlag gegeben hatte.
Rennes-le-Château klang wie eine
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