Es wird Tote geben
verloren. „Wer … Kennen Sie jemanden, der weiß, mit wem Yvonne sich in letzter Zeit getroffen hat? Ob sie sich vielleicht unglücklich verliebt hat oder …“
„Ihre Freundinnen … die Sarah, Sarah Köfler … die Nadine, die Simona … die Mädchen aus der Schule halt … aber in letzter Zeit sind die auch nicht mehr vorbeigekommen … da war sie, glaube ich, lieber allein.“
„Hm“, machte Schäfer und zeichnete abstrakte Muster in sein Notizbuch. „Dass sie so früh aus dem Haus geht … hat sie das öfter gemacht?“
„Ja … um spazieren oder laufen zu gehen … in der Früh denkt man sich da ja nichts dabei, was soll da schon passieren?“
„Ja“, Schäfer räusperte sich. Irgendwann musste er es sowieso ansprechen. „Wissen Sie vielleicht, ob Ihre Tochter Drogen genommen hat … also irgendetwas, das ihre Wahrnehmung so beeinflusst hat, dass …“
„Ich glaube nicht“, erwiderte sie zu seinem Erstaunen ohne jegliche Befremdung, „ich habe nichts bemerkt … Eine Packung Tabletten habe ich einmal in ihrem Schreibtisch gefunden, Appetitzügler … dabei war sie eh so schlank … Ich hab sie ihr weggenommen und als ich sie darauf angesprochen habe … man versucht, alles richtig zu machen und …“, erneut brach sie in Tränen aus. Schluss jetzt. Vielleicht konnte sie noch, er nicht mehr.
„Haben Sie jemanden, der … wenn Ihr Mann …“
„Meine Mutter ist jeden Tag da … aber heute wollte ich allein sein.“
„Verstehe.“ Schäfer legte seine Karte auf den Tisch. „Sie können mich anrufen, wenn Sie … wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann … auch am Posten … ich sage ihnen, dass Sie auf jeden Fall zu mir durchgestellt werden, egal zu welcher Uhrzeit.“
„Danke.“ Sie nahm seine Karte wie ein wertvolles Schmuckstück, das ihr nur kurz zur Besichtigung überlassen worden war. Schäfer legte ihr kurz die Hand auf die Schulter und verließ das Haus.
Dann saß er apathisch an seinem Schreibtisch und wartete darauf, dass die Schwester von Carola Windreiter auftauchte. 19:53. 19:57. 19:59. Er hätte der schon absagen müssen! Die Göre hinausschicken, wo sie entweder eine Anzeige erstatten oder zum Teufel gehen sollte. Wer hatte ihm denn plötzlich die Universal-Rolle Beichtvater-Rächer-Schweinepriester aufgetragen?
„Soll ich hereinkommen?“ In der Tür stand die Kopie von Carola Windreiter, die dennoch auf den ersten Blick von dieser zu unterscheiden war – auf den Blick eines genialen Polizisten wohlgemerkt.
„Wenn du dich traust.“ Schäfer hatte nicht vor, das lässige Punk-Gehabe in ihrer Mimik länger als zehn Sekunden zu dulden.
„Kein Problem.“ Sie ließ ihre Sporttasche neben den Besucherstuhl fallen und setzte sich.
„Kann deine Schwester eigentlich gut lügen?“ Schäfer sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde, dann wollte er nach Hause und sich einen schwachsinnigen Film ansehen, ohne an die Baustelle in seiner Küche zu denken.
„Kommt drauf an …“
„Als du auf dem Parkplatz den Haidegger vollgekotzt hast … ist da zufällig ein Lkw vorm Spar gestanden?“
„Spar?“, erwiderte sie nach einem kurzen Moment, „da ist ein Billa und ein Hofer, aber kein Spar.“
„Stimmt … tut mir leid, ich bin etwas verwirrt … die Kugel im Kopf …“
„Alles klar … und weiter?“
„Gut … ich gehe einmal davon aus, dass ihr beide die Wahrheit sagt … wenn nicht, zerfetze ich dich wegen Weitergabe von Suchtgift.“
„Was? … Ich habe niemandem … und überhaupt …“
„Ja, kann sein … aber ich bin der Superbulle und du die Partymaus, die sich ohne Wissen ihrer Eltern unter der Woche zudröhnt und dann um vier Uhr früh ins Auto eines Freundes der Familie kotzt.“
„Es war höchstens halb zwei!“
„Ja“, sagte Schäfer, beruhigt, dass sie nicht jeden seiner Tricks durchschaute. „Also: Was soll ich eurer Vorstellung nach machen? Ein paar bosnische Schläger anrufen? Einen Freigänger aus Stein engagieren?“
„Könnten Sie das tun?“
„Ich … Ihr Jugendlichen seid völlig daneben … ihr seht zu viel fern, kümmert euch nicht um eure Umwelt, euer empathisches Vermögen ist völlig verkümmert“, ging es mit Schäfer durch.
„Sagen ausgerechnet Sie“, sagte sie hämisch, „was man im Internet so über Sie finden kann … Yippie ya yay, Schweinebacke.“
„Das ist aus Stirb langsam , das war vor deiner Zeit.“ Schäfer fühlte, wie er den sicheren Grund unter den Füßen verlor. Er war müde, er wollte nicht mehr, er
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