Es wird Tote geben
Lektionen in Multitasking.
„Hat diese Verrückte ihren Hund endlich gefunden?“
„Wer? Welchen Hund?“, Hornig nahm seine Lesebrille ab und drehte sich verwirrt zu Schäfer um.
„Die Frau, die vorige Woche da war … die immer in der Gegend herumrennt und Sascha, Sascha schreit.“
„Ah, die Nachtigall!“ Hornig lachte gekünstelt, wohl um seiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, Schäfer über ein Missverständnis aufklären zu können.
„Von mir aus … also, hat Frau Nachtigall ihren Hund?“
„Die sucht doch keinen Hund“, erklärte Hornig mitleidig. Inspektorin Auer betrat die Dienststelle, in der rechten Hand eine Papiertasche, aus der es nach italienischem Essen roch.
„Können Sie Ihrem Kollegen bitte erklären, wie man eindeutige Fragen eines Vorgesetzten beantwortet“, wandte sich Schäfer an sie.
„Kurz und bündig?“
„So sei es … also: Was ist mit dem Hund von der Nachtigall?“
„Was für eine Nachtigall?“, „Die hat keinen Hund!“, sagten Auer und Hornig gleichzeitig.
Schäfer machte eine wegwerfende Handbewegung, um seinen Kollegen kundzutun, dass sie ein Haufen nichtsnutziger Staatsschmarotzer wären, wobei ihm sein Gummiball entglitt und Hornigs Wasserglas zu Boden schoss.
„Was ist denn hier los?“, brummte Friedmann, den das Klirren aus dem Hinterzimmer geschreckt hatte.
„Erklär du dem Major bitte das mit der Nachtigall“, meinte Hornig und ging in die Knie, um die Scherben aufzuheben. Schäfer sah Friedmann mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Die Frau Materna? Ist ihr was passiert?“
„Wenn ihr glaubt, mich in den Wahnsinn treiben zu können, müsst ihr früher aufstehen“, rief Schäfer, knallte die Tür hinter sich zu und ließ drei ratlose Beamte zurück.
„Unverschämt, einfach unverschämt“, murmelte er, während er schnellen Schritts stadtauswärts ging, wo er mit dem Bürgermeister und zwei Leuten des Filmteams in einem Beinahe-Haubenlokal verabredet war.
„Unverschämt ist das!“, rief er ins Telefon, nachdem er am Display Friedmanns Nummer gesehen hatte. „Ah, Missverständnis … ja, wenn ihr glaubt, mich verarschen zu müssen, dann missversteht ihr was … und wieso heißt die Frau Materna Nachtigall? … Ihren Sohn? Wieso weiß ich davon nichts? … Elf Jahre? … Gut … das können Sie mir ja nachher genauer erzählen, ich treffe jetzt den Dings … Genau … Ja, in diesem Fall wird mein Zorn die Gerechten verschonen, aber der Hornig bekommt das nächste Wochenende mit Zeltfest, da kann er sich drauf verlassen.“
Besänftigt ging er weiter. Wahrlich ein so amüsantes wie multiples Missverständnis, das sich da in den letzten Wochen entwickelt hatte. Schäfer war davon ausgegangen, dass Frau Materna ihren Hund suchte. Doch in Wahrheit ging es um ihren Sohn, der bereits vor elf Jahren verschwunden war. Was die Mutter zuerst in die Verzweiflung und dann in den Wahnsinn getrieben hatte. Sie aus dem zu befreien waren alle Versuche gescheitert – wenn man davon absah, dass der örtliche Pfarrer sie quasi in den Kirchenchor gezwungen hatte, damit sie nicht völlig vereinsamte. Dort hatte sich zu aller Verwunderung herausgestellt, dass sie einen prachtvollen, einen gesegneten Sopran besaß, was ihr nach kurzer Zeit den Spitznamen Nachtigall eingetragen hatte. Ja, da glaubt man, es passiert so wenig auf dem Land – dabei muss man nur genauer und länger hinsehen, sagte sich Schäfer und schob die schwere Restauranttür auf.
Auf der Schwelle zum Gastraum blieb er stehen, suchte die Tische ab und wandte sich dann an eine der Kellnerinnen, um nach dem Ortschef zu fragen.
„Der Herr König hat …“, begann die junge Frau und konnte nicht weitersprechen, da aus dem Off eine Stimme durch den Gastraum bellte: „Hier, Herr Major!“
„ … den VIP -Bereich reserviert, ich hab’s bemerkt, danke.“ Schäfer zwängte sich an den vollbesetzten Tischen vorbei in den hinteren Lokalbereich, wo ihn der Bürgermeister an der Zirbenholztür des Hirtenstüberls empfing und seine Hand ergriff.
„Warten Sie bitte noch einen Moment, bis ich … ich muss noch schnell wohin … die beiden Hauptdarsteller sind auch gleich mitgekommen, ja … also: eine Minute.“
„Hände waschen nicht vergessen“, murmelte Schäfer dem entfleuchenden Mann hinterher und sah unauffällig an sich hinab, ob die Uniform saß. Er hatte die gute gewählt, die Offiziersuniform, die er zuletzt bei seiner Abschiedsvorstellung getragen hatte. Am Posten trug er die
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