Es wird Tote geben
den Tisch gestellt hatte.
„Das Leben.“
„Sehr gut“, erwiderte Hofer, wobei nicht zu erkennen war, ob er die Replik an sich oder deren philosophischen Inhalt meinte. „Sie sind jetzt in …“
„Schaching.“
„Ja, ich habe davon gelesen … interessant … die Umstände, nicht den Ort meine ich.“
„Waren Sie schon einmal dort?“
„Nein … aber ich kann es mir vorstellen.“ Hofer prüfte das Wasser, das seit geraumer Zeit aus dem Hahn floss, mit der rechten Hand auf seine Temperatur und füllte zwei Gläser.
„Danke.“ Schäfer zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch zum offenen Küchenfenster. „Angenehm kühl haben Sie’s hier drinnen …“
„Ja. Zu den Menschen, die sich von so einem Wochenende ins Freie zwingen lassen, habe ich glücklicherweise nie gehört.“
„Wie geht es Ihnen?“, fragte Schäfer nach einer Pause.
„Gut“, erwiderte Hofer nach einer abermaligen Pause. „Ja, gut … ich habe mich gefunden, wiedergefunden … oder endlich gefunden … wie auch immer, es geht mir gut.“
„Das freut mich zu hören …“
„Sie sehen ebenfalls … besser aus als letztes Mal.“
„Das ist nicht schwer“, Schäfer lächelte, „danke nochmals, für damals …“
„Und heute?“
„Wie, heute?“
„Soll ich denn annehmen, dass dies ein spontaner Besuch ist?“
„Andernfalls hätte ich wohl angerufen, oder?“
„Wohl wohl“, Hofer lächelte versonnen, „früher habe ich mich verstecken müssen, um ein paar Stunden ganz für mich zu haben … und heute …“
„Aber Ihr fachliches Wissen wird doch bestimmt begehrter sein als je zuvor, oder?“
„Begehrt … natürlich sind sie Schlange gestanden, die Institute, die Pharmaindustrie, die Wissenschaftler … damit will ich nichts mehr zu tun haben.“
„Tut mir leid“, meinte Schäfer verlegen.
„Dafür gibt es nun wirklich keinen Grund.“ Hofer wischte mit dem Handrücken ein paar nur für ihn sichtbare Krümel vom Tisch. „Sie haben Ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um diesen Wahnsinn zu beenden … spielen Sie Schach?“
„Nein, leider.“
„Hm“, machte Hofer, worauf sie in ein mehrminütiges Schweigen verfielen.
„Ich habe da einen Klienten“, nahm Schäfer das Gespräch wieder auf.
„Einen Klienten? Das ist gut.“ Hofer stand auf und füllte die Gläser.
„Wieso?“
„Nun … ich verwende für gewöhnlich den Begriff Patient und bei Ihnen ist es wohl der Delinquent. Jetzt gehen Sie einen Schritt auf mich zu und sagen Klient.“
„Ja“, Schäfer nahm einen Schluck Wasser, „vielleicht machen wir irgendwann gemeinsam eine Praxis auf … Neurologisch investigative Verbrechensforschung oder so …“
„Haben Sie vergessen, dass ich keine Zulassung mehr besitze?“ Hofer lächelte und tätschelte Schäfers Handrücken; wohl um zu verhindern, dass dieser sich abermals entschuldigte.
„Dann nennen wir es eben Coaching … da kann man inzwischen so gut wie alles damit machen.“
„Sehr gut“, Hofer drehte Schäfers Zigarettenschachtel einige Male um deren Querachse, „nun, was hat es auf sich, mit Ihrem Klienten?“
Als Schäfer zu erzählen begann, legte Doktor Hofer seine Handflächen auf den Tisch und schloss die Augen – wie ein kauziger Geisterbeschwörer wirkte er plötzlich. Zuerst irritierte Schäfer diese Haltung; dann ermutigte sie ihn, in seinen Bericht alle Details aufzunehmen, die sein Gedächtnis bereithielt. Hofer nickt einige Male fast unmerklich, seine Finger krümmten sich immer wieder, ein paar Mal atmete er tief ein und aus – es schien, als verwandelte er die Geschichte von den toten Mädchen und den Videos, von den Medikamenten und Kettners Keller, von Simon Graber und seiner Adoptivschwester Laura, als transkribierte er all das in eine neue Ordnung, eine neurologische Symphonie vielleicht, deren Schlussakkord den Fall lösen würde. Nicht ganz, lieber Schäfer.
„Aus diesen vagen Informationen kann ich Ihnen nichts erstellen, das einem gerichtlichen Gutachten gleichkommt“, meinte Hofer, als Schäfer von der Toilette zurückkam.
„Das will ich auch gar nicht“, wiegelte Schäfer ab, bemüht, nicht enttäuscht zu wirken, „ich will erst einmal verstehen, was in diesem Menschen vorgeht … sofern er überhaupt der Täter ist …“
„Nun … wenn ich die kriminelle Komponente für einen Moment außer Acht lassen darf, könnte sein Bestreben als Suche nach Anerkennung und Zuneigung verstanden werden. Dass er dafür einen … pervertierten Weg
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