Es wird Tote geben
wählt, hängt möglicherweise mit dieser frühestmöglichen Zurückweisung zusammen, die er erfahren hat … eine grausame Geburt, das Weglegen, die Zeit im Krankenhaus ohne konstante Bezugsperson, allein das stellt schon eine massive Traumatisierung dar …“
„Ist Ihnen etwas in der Richtung schon einmal untergekommen?“
„Etwas untergekommen … ts.“ Hofer sah Schäfer an, als hätte dieser ihm lautstark ins Gesicht gerülpst.
„Entschuldigung, ich wollte sagen …“
„Ja, wollten Sie.“ Hofer stand auf, nahm eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank, zeigte sie Schäfer, der mit einer Geste verneinte, und stellte sie wieder zurück. „Nun gut … ich hatte in der Tat schon einige Patienten, deren Leben von frühkindlichen Beziehungsverlusten und emotionalen Traumata gekennzeichnet war … die Borderline-Störung ist eine klassische Reaktion auf solche, ja … sehr schwierig zu therapieren …“
„Verstehe“, gab Schäfer klein bei, zumal er Hofer nicht noch einmal brüskieren wollte.
„Wobei das Teuflische an solchen Störungen ja meist erst zutage tritt, wenn die Betroffenen in Beziehungen eintreten … Wenn sie tiefe Emotionen für einen anderen empfinden, kollidiert ihr extremes Bedürfnis nach Geborgenheit oft mit der Angst, verlassen zu werden …“
„Wenn sie sich zum Beispiel verlieben“, folgerte Schäfer und dachte an den Eintrag in Yvonne Raabs Tagebuch: Schmetterlinge im Bauch.
„Ja … dann können sie sich in Horrorszenarien hineinsteigern, was ihrem Partner alles zustoßen könnte … mit der Folge, dass sie in ständigem Kontakt bleiben wollen, obsessiv werden … und sobald die Angst vor dem Verlust zu stark wird, stoßen sie den anderen ab, um sich das Ende der Beziehung zumindest als eigene Entscheidung einreden zu können …“
„Abstoßen wie töten?“
„Das ist eine Spekulation, auf die ich mich nicht einlassen will … schon gar nicht, wenn es um einen psychisch Kranken geht, den Sie einer Straftat verdächtigen.“
„Aber möglich ist es, oder?“
„Möglich ist sehr vieles“, meinte Hofer nach einer Weile. „Wobei das Vorgehen, das Sie mir geschildert haben, mit dem von mir gestellten, hm … Diagnosekonstrukt wenig konform geht … Diese akribische Planung sowie das Festhalten mithilfe einer Kamera, das ist für einen Borderliner sehr unaffektiv, zu durchdacht …“
„Was ist, wenn es sich um eine multiple Persönlichkeitsstörung handelt?“, fragte Schäfer, „eine gespaltene Persönlichkeit, wo der …“
„Hoho!“, lachte Hofer auf, „jetzt gehen mit Ihnen die Pferde durch … fehlt Ihnen vielleicht noch ein Jekyll-Hyde-Fall in Ihrem Lebenslauf?“
„Nein, war ja nur theoretisch …“
„Solche Spekulationen anzustellen über jemanden, der vermutlich psychisch krank ist, darauf lasse ich mich sicher nicht ein.“
„Aber wie halte ich den auf …“, murmelte Schäfer mehr zu sich selbst.
„Herr Schäfer, ich bin Arzt und kein Polizist … wenn dieser junge Mann krank ist, würde ich in jedem Fall versuchen, ihm zu helfen, anstatt Ihnen Ratschläge zu geben, wie Sie ihn überführen könnten …“
„Das ist mir völlig klar, Doktor Hofer“, Schäfer hob beschwichtigend die Hände, „aber Sie verstehen auch, dass hier Menschenleben auf dem Spiel stehen, oder?“
„Natürlich.“ Hofer stand auf und stellte sich ans Fenster. „Wenn dieser Mann tatsächlich zu solchen Taten fähig ist, begeben Sie sich selbst in Gefahr, das ist Ihnen hoffentlich klar.“
„Ich bin kein junges Mädchen, ich nehme keine Drogen, und ich bin ihm physisch überlegen …“
„Und genau diese Überheblichkeit ist es, mit der man solchen Menschen in die Falle geht!“ Hofer wandte sich um und richtete seinen Zeigefinger auf Schäfer. „Mimen Sie den Stärkeren, wird er gezielt die Rolle des Schwächeren einnehmen. Schlagen Sie ihn, wird er es ohne Gegenwehr geschehen lassen … aber Sie sind es, der sich damit in eine Abhängigkeit begibt!“
„Ja“, erwiderte Schäfer wie ein schüchterner Schuljunge, „aber irgendwie muss doch so jemand …“ Schäfer versuchte einen korrekten Terminus zu finden.
„Zum Glück haben Sie jetzt nicht gesagt zur Vernunft gebracht werden … Solche Störungen sind ja oft komorbid … da kommen dann Depressionen, Angstzustände, Suchtprobleme hinzu … Zu solchen Menschen eine Vertrauensbasis aufzubauen ist allein schon eine Aufgabe für sich … die Aufarbeitung eines frühkindlichen Traumas …“
„Was
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