Es wird Tote geben
dann aber“, bellte Schäfer, stand auf und versetzte der Scheibe einen leichten Hieb mit dem Faustballen. Gegen sein Erwarten zerbarst sie und ging in unzähligen winzigen Splittern zu seinen Füßen nieder.
„Oha“, meinte er gelassen und stieg nach draußen, wo ihm ein in Schreckstarre gefangener Hornig entgegenblickte.
„Wo sind diese Penner vom LKA !?“, rief er ohne bestimmten Ansprechpartner seinen Kollegen zu, „eine Frau, die bei uns eine Zeugenaussage macht und kurz darauf einen seltsamen Unfall hat … Haben die urlaubsbedingte Ermittlungssperre?“
Als keiner der Beamten antwortete, kehrte Schäfer – durch die Tür – in sein Büro zurück und rief beim LKA an. Danach probierte er es bei Laura Graber, erreichte jedoch nur ihre Mailbox.
Zum Glück lebt sie noch, sagte er sich, während er mit Besen und Kehrschaufel die Splitter in seinem Büro beseitigte. Nicht einmal ein halbes Jahr als Postenkommandant und schon wäre beinahe die dritte Frau aus seinem Rayon in der Gerichtsmedizin und auf seinem Schreibtisch gelandet! War das vielleicht bei Was erwartet Sie in Ihrem neuen Job? gestanden? Er hielt einen der Glaskrümel ins Licht. Kein Regenbogen. Ach, so ein Tag. An dem er am liebsten stundenlang mit einem Putzeimer durch den Posten ginge, jeden Staubkrümel und jeden Fleck entfernte. Ach, wie er zeitweise die Menschen beneidete, die einem routinierten Handwerk ohne allzu große Herausforderungen nachgehen konnten.
Am späten Nachmittag trafen zwei Beamte des Landeskriminalamts ein. Schäfer setzte sich mit ihnen in den Besprechungsraum und gab ihnen eine Zusammenfassung des Falls. Nicht so ausführlich wie am Vortag, zumal die beiden Polizisten bei weitem nicht die Geduld und das Interesse ausstrahlten, das Doktor Hofer gezeigt hatte. Nun, die Details konnten sie ohnehin aus dem Ermittlungsbericht erfahren, den Schäfer im Laufe des Tages erstellt hatte.
„Ist ganz schön was zusammengekommen“, bemerkte einer der Beamten, während er die Seiten über seinen Daumen fliegen ließ.
„Ja.“ Schäfer hatte den leicht vorwurfsvollen Ton nicht überhört. „Deswegen habe ich euch ja ins Boot geholt.“ Ob rechtzeitig oder nicht, darüber würde er sich bestimmt auf keine Diskussion einlassen. Wer war denn hier der Ranghöchste?
„Okay … wir gehen’s durch und schauen, dass wir sobald wie möglich diesen …“
„Simon Graber …“
„Ja, dass wir den vernehmen können.“
„Sehr gut“, Schäfer stand auf, „ich geh mit euch hinaus.“
Er mochte das Wort nicht, wusste aber, dass es seinen Zustand annähernd beschrieb: urlaubsreif. Gerade einmal eine halbe Stunde war er gegangen, als er sich erschöpft auf die Bank sinken ließ, wo er vor … er wusste nicht, vor wie vielen Tagen … mit Frau Materna gesprochen hatte. Deren Sohn in Schäfers Keller vergraben lag. Was ihn angesichts der aktuellen Geschehnisse jedoch kaum mehr berührte, geschweige denn ängstigte. Weder Sascha noch seine Mutter würden davonlaufen, und Stark war ohnehin in einem karibischen Paralleluniversum, aus dem Schäfer ihn allein schon aus Solidarität nicht herausreißen wollte. Das Telefon. Sanders.
„Ich habe den Fall ans LKA abgegeben“, begrüßte er den Autor.
„Nein!“
„Doch.“
„Oohh!“
„Was bleibt mir denn übrig“, Schäfer zündete sich eine Zigarette an, „eine wichtige Zeugin hat gestern einen Autounfall gehabt, der schwer nach Manipulation am Fahrzeug aussieht …“
„Nein!“
„Doch.“
„Oohh!“
„Stehen Sie unter Drogen oder was ist los mit Ihnen?“
„Ich? Nein … das ist aus diesem Film mit Louis de Funès und Bernard Blier, wo …“
„Ja, kenne ich, sehr lustig … gibt’s sonst etwas Interessantes?“
„Leider nicht … ah, wir essen morgen Abend im Antinori und Sie sind herzlich eingeladen. Kommen Sie vorbei?“
„Wozu?“
„Na, essen?“
„Vielleicht.“
Nachdem Schäfer das etwas überflüssige Telefonat mit dem Autor beendet hatte, rief er seinen Bruder an. Da er selbst kaum ein Wort herausbrachte, stellte er Jakob die bewährten Fragen, auf die dieser wie erwünscht mit einem langen Monolog reagierte. (Was macht die Tochter? Wie geht’s denn bei euch im Krankenhaus zu nach der Ärztereform? Hat sich Monika endlich mit ihrem Chef versöhnt?) Es ging nicht um eine Unterhaltung. Vielmehr um die Stimme einer geliebten Person, um Familie, um eine andere Welt. (Die zu betreten Schäfer am Vortag verweigert hatte.) Nach etwa einer
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