Escape
Was, wenn -« Es gab einfach zu viele dieser Fragen.
Ich beugte meinen Kopf vor, meine Haare fielen wie ein Vorhang um mich. »Nichts fühlt sich mehr echt an.«
Sam machte sich klein, damit er trotzdem noch mein Gesicht sehen konnte. »Ich vertraue dir. Hast du das verstanden?«
»Ja.« Der Druck auf meiner Brust ließ ein wenig nach. »Danke. Und das sage ich nicht nur so.«
»Wir müssen irgendwie herausfinden, was ich der Sektion gestohlen habe. Vielleicht finden wir so ja auch deine Antworten.« Er verschwand im Bad und kam kurze Zeit später oberkörperfrei wieder heraus. Mein Blick blieb erst an dem R auf seiner Brust hängen, dann an den wohlgeformten Muskelplatten seines Bauchs.
»Kannst du dir die Tätowierung noch einmal ansehen?«, fragte er. Es kostete mich Mühe, meinen Blick von ihm zu lösen, um in seine Augen zu sehen. »Vielleicht findest du ja etwas, was wir bisher übersehen haben.«
»Klar.« Er setzte sich mit dem Rücken zu mir auf die Bettkante und wartete. Ich kletterte von meiner Seite über das Bett zu ihm und rutschte an ihn heran. Ich fing bei den Blättern an, zählte, wie viele sich an den einzelnen Ästen befanden, überprüfte die Blattadern, suchte, ob sich irgendwo eine Symbolik verbarg.
Weil ich nichts fand, nahm ich mir als Nächstes die Rinde vor und betrachtete ihre feinen Linien. Ein Strich am dritten Baum von links kam mir komisch vor. Ich unterdrückte ein Gähnen. Ich war müde und konnte nicht mehr ganz klar sehen. Was immer sich da versteckte, war nicht sofort ersichtlich.
Ich sah es mir genauer an, irgendwas stimmte da wirklich nicht ganz. Mit dem Finger fuhr ich über Sams Haut. Er fühlte sich warm an, wärmer, als sich jemand ohne Kleidung in diesem kalten Hotelzimmer anfühlen sollte.
»Hast du was gefunden?«, fragte er.
»Vielleicht.«
Er stand auf und wühlte in der Nachttischschublade herum. Dort fand er einen Notizblock mit dem Logo des Motels und einen Stift, beide gab er mir. »Kannst du es abzeichnen?«
Ich nickte und schon setzte er sich wieder vor mich. Da meine Beine wehtaten, weil ich zu lange gekniet hatte, setzte ich mich um. Ein Bein winkelte ich an, das andere streckte ich aus, sodass es parallel zu dem von Sam lag. Ihm so nah zu sein, ließ mein Herz schneller schlagen. Ich fragte mich, ob es ihm ähnlich ging.
Bei der Erinnerung an unseren Kuss fingen meine Lippen an zu kitzeln. Ich biss mir auf die Unterlippe, vielleicht ließen sich ja so diese Gedanken aus meinem Kopf vertreiben.
Ich übertrug die Rinde mit ihren besonderen Strukturen und den abgelösten Teilen leicht vergrößert auf das Blatt, damit man sie besser erkennen konnte. Je weiter ich kam, desto stärker trat ein Muster hervor. Als die Zeichnung fertig war, formierte sich aus den einzelnen Streifen der Borke etwas, das wie eine Zahlenreihe aussah. Da sie mit einem hellen Grauton tätowiert waren, sahen sie aus der Entfernung aus wie perfekte Schattierungen.
Sam fuhr herum. »Zeig mal.«
Ich reichte ihm den Block.
»Ziffern.« Er kniff die Augen ein bisschen zusammen, schnappte sich dann den Stift von mir und ummalte Teile der Rinde. »Zwei-sechs-vier-vier.«
Ich nickte. Genau diese Zahlen hatte ich auch gesehen.
Die Stirn in Falten, starrte er weiter auf die Zeichnung. »Mehr war da nicht?«
»Nein. Aber ich kann noch weitersuchen, wenn du willst.«
»Ja, bitte.«
Wir nahmen wieder die gleiche Stellung ein, obwohl ich mir sicher war, nicht mehr zu finden. Und während mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, fragte ich mich, ob Sam nur meine Nähe wollte und die Sache mit der Suche nur eine Ausrede war. Was natürlich eine bescheuerte Vorstellung war. Sam gehörte nicht zu den Leuten, die ihre Zeit mit Ausreden vergeudeten.
Ich vertiefte mich wieder in die Tätowierung, fuhr mit dem Finger über die Birken, die Rinde, das Gras, so als würde ich durch die Berührung einen weiteren Hinweis freilegen können.
Sam zitterte leicht unter meiner Fingerspitze. Ich suchte gar nicht mehr wirklich nach einer neuen Spur, ich wollte eine Reaktion bei ihm provozieren. Er ließ für den Bruchteil einer Sekunde den Kopf hängen, dann drehte er sich zu mir um und sah mir in die Augen. Wenige Zentimeter trennten uns. Ich bewegte mich auf ihn zu.
»Anna«, sagte er.
Die Tür flog auf und ich sprang beiseite. Trev und Nick starrten uns mit großen Augen an. Blut schoss mir in die Wangen. Noch nie hatte ich mir so sehr gewünscht, mich in Luft aufzulösen.
Nick schnalzte mit
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