Escape

passen haargenau zu den Bäumen hier«, sagte ich aufgeregt. »Die Bäume an sich sind seitenverkehrt abgebildet.«
    Sam zögerte keine Sekunde, sondern lief zielstrebig zum dritten Baum und von dort sechzig Schritte Richtung Norden. Das hatte in der Nachricht gestanden. Vom dritten Baum sechzig nach Norden. Wir ließen die Baumgruppe hinter uns und drangen tiefer in den Wald vor. Nasser Farn streifte frischen Regen an unseren Beinen ab. Es dauerte nicht lang, da hatte Sam sechzig Schritte gemacht. Wir starrten auf den Boden. Hier waren also die Antworten zu all unseren Fragen vergraben.
    »Wir brauchen eine Schaufel«, sagte ich.
    »Warte hier auf mich.« Er rannte zurück zum Hof. Ich verlor ihn aus den Augen, als er hinter der Kuppe eines Hügels verschwand.
    In der Stille klang jedes noch so leise Geräusch wie ein Schritt, wie ein Zweig, der unter einem Stiefel zerbrach. Ich lief einmal im Kreis, um sicherzugehen, dass ich mich getäuscht hatte. Zum Glück hatte ich mich getäuscht. Trotzdem atmete ich erleichtert auf, als Sam endlich wieder auftauchte.
    »Wo hast du die gefunden?«, fragte ich mit einem Blick auf die Schaufel in seiner Hand.
    »Ist das wichtig?«
    »Nein, vermutlich nicht.« Ich ging aus dem Weg, denn schon hatte Sam den Spaten in die Erde gerammt.
    Die Erde ließ sich leicht heben und Sam stieß nur auf ein paar Wurzeln, die er alle ohne Schwierigkeiten durchschlagen konnte. Es dauerte mindestens eine halbe Stunde, bis das Loch tief genug war, um darin stehen zu können. Ich wartete oben am Rand und trat nervös von einem Fuß auf den anderen, von jedem kleinen Geräusch aufgeschreckt.
    Was würden wir machen, wenn Riley oder Connor plötzlich auftauchten?
    Sam stöhnte und schleuderte dann eine weitere Ladung Erde auf den Haufen.
    »Bist du sicher, dass du richtig gezählt hast? Wir könnten es noch mal an einer anderen Stelle versuchen, dann grab ich mal ein bisschen.«
    Sam sah zu mir auf, Dreck, Schweiß und Regen hatten sich auf seiner Stirn vermischt. »Ich habe mich nicht verzählt. Ich weiß nur nicht, wie tief ich buddeln muss. Oder ob hier überhaupt noch was liegt.«
    Der Himmel wandelte sich langsam von Grau zu Gelb, während die Sonne aufging. Uns ging allmählich die Zeit aus. Trev und Nick machten sich mittlerweile bestimmt Sorgen; wir waren schon seit Stunden allein unterwegs. Und Cas? Ich hoffte, es ging ihm gut.
    Sam rammte die Schaufel erneut in den Boden und ein scharfes Kling ertönte, als Metall auf Metall traf, ganz wie damals auf dem Friedhof. Das war wie ein merkwürdiges Déjà-vu. Sam kratzte die restliche Erde mit den Fingern weg und zum Vorschein kam ein mächtiger Metalltresor, dessen Tür nach oben zeigte. Sam versuchte, ihn herauszuheben, doch schaffte es kaum, ihn ein wenig zu bewegen. Allein hatte er ihn vor fünf Jahren sicher nicht hier versteckt.
    »Kannst du ihn aufmachen?«, fragte ich. Ein einfaches Kombinationsschloss befand sich oberhalb eines Hebels.
    Sam schnappte sich den Spaten und hieb mit Schwung auf das Schloss. Funken sprühten, als die Schaufelspitze darauftraf. Er holte erneut aus und beim zweiten Treffer gab das Schloss ein bisschen nach. Ein weiterer Hieb reichte, um das Schloss vollends herauszubrechen.
    Er warf die Schaufel beiseite und riss die Tür auf. Lose Erde rieselte hinein, doch Sam wischte sie weg und brachte ein Paket zum Vorschein. Es war in einen dreckigen Lumpen gewickelt und mit einem Faden zusammengebunden. Er reichte es mir, bevor er sich aus der Grube wuchtete und danebenhockte.
    Nachdem er die Hände an seiner Hose abgewischt hatte, löste er den Faden und rollte das Stück Stoff ab. Zum Vorschein kam eine durchsichtige Plastiktüte, in der sich ein Stapel Blätter und ein Ringbuch befanden. Er zog alles heraus und verschaffte sich einen ersten Überblick.
    »Sagt dir das was?«
    Er musterte die losen Blätter. »Das sind Protokolle und Tabellen, ganz ähnlich wie die, die Arthur und du im Labor von uns angelegt habt. Blutuntersuchungen, Intelligenztests. Aber die Namen... Sieh mal.«
    Ich schaute über seine Schulter.
    Matt. Lars. Trev.
    »Trev gehörte zu einer anderen Gruppe?«
    Er drückte mir die Blätter in die Hand und wandte sich dem Notizbuch zu. Es war ein ganz gewöhnliches Ringbuch mit einem schwarzen Deckel, auf dem nichts weiter vermerkt war. Sam schlug es auf und starrte auf vergilbtes liniertes Papier. Auf der ersten Seite stand:
    14. Februar
    Tests verlaufen gut. Neue Gruppe ist vielversprechend.