Esel
dir.«
Friedhelm schaut sich nun auch um. Noch halte ich seinen Strick und werde ihn erst wieder loslassen, wenn Friedhelm in einem Stall steht, den er aus eigener Kraft nicht mehr verlassen kann.
»Halllooooooooo?«
Friedhelm hält sich für das einzige Hallooooooooo-Ziel in ganz Kleinzedlitz und glotzt mich schon wieder an.
»Kollege, du bist echt nicht gemeint, okay?«
War das zu hart? Keine Ahnung, in dieser blöden Anleitung steht nichts über die Sensibilität von Eseln. Friedhelm reagiert, ohne dass ich es einordnen kann. Er schubbert mit einem Mal ohne Vorankündigung sein Sabbermaul an meinem Hemd ab. Zum ersten Mal spüre ich, welche Kraft dieser Esel besitzt, denn wenn er wollte, könnte er mir den gesamten Brustkorb abschubbern. Deshalb lasse ich ihn gewähren und hoffe, dass es nur eine freundliche Geste ist, auch wenn mein Hemd nun so aussieht, als hätte sich eine komplette Kleinkindgruppe darauf ausgekotzt.
»Wer sind Sie?«
Die Stimme klingt, als käme sie aus einem alten Ölfass. Ich drehe mich und sehe zum ersten Mal Elli, die Besitzerin des Reißerhofes.
»Björn Keppler. Ich bin hier gebucht.«
»Ach.«
»Ja. Und das ist Friedhelm.«
»Weiß ich, kenn’ ich. Elli.«
»Schöner Name«, lüge ich höflich.
»Scheiß Name. Durfte ihn mir nicht selber aussuchen«, kontert Elli.
»Schön. Ja, dann …«
Ich rudere mit den Armen, was Elli nicht so recht einordnen kann. Hier auf dem Land rudert man nicht mit den Armen. Hier tut man etwas Gescheites mit den Armen oder lässt es bleiben.
»Was machen Sie da?«
»Nichts.«
Jetzt macht sie meine Bewegungen nach. Wenn Elli mit den Armen rudert, sieht es aus, als spielten zwei Strohhalme Mühle. Ich muss lachen.
»Was ist denn daran so lustig?«, fragt Elli.
»Nichts, nur so.«
»Keiner lacht nur so.«
»Entschuldigung. Ich lache, weil Sie mit den Armen rudern.«
»Sie doch auch«, ergänzt Elli. »Warum tun Sie das?«
»Das mache ich nur so, einfach so«, erkläre ich und höre endlich auf zu lachen.
»Komisch.«
Elli hört nun auf, mit ihren Armen zu rudern, so komisch findet sie das dann wohl doch nicht. Da sie nun aber keinerlei Anstalten macht, etwas anderes zu unternehmen, versuche ich, das Gespräch in Richtung Dienstleistung zu bringen.
»Ja, ich denke, es ist spät geworden, und Friedhelm und ich sollten jetzt vielleicht etwas essen.«
»Wo?«
»Bei Ihnen?«
Ich lasse meine Frage so selbstverständlich klingen, als hätte ich sie eigentlich gar nicht erst stellen müssen.
»Zu spät«, antwortet Elli noch selbstverständlicher.
»Ähm, in meinen Unterlagen steht nicht so genau drin, wann man hier sein muss. Um ganz genau zu sein, da stehen überhaupt keine Zeiten drin.«
»Stimmt.«
»Dann kann ich vielleicht doch noch was essen?«
»Nein, zu spät, sagte ich ja.«
Elli geht auf Friedhelm zu und nimmt mir den Strick aus der Hand.
»Was haben Sie vor?«
Elli schaut mich entgeistert an, so als hätte ich sie gerade gefragt, ob sie ein Kind von mir möchte oder meine Socken waschen.
»Ich füttere den Esel.«
»Ach, der kriegt noch was?«
»Der kann sich ja nix selber machen, oder?«
Da hat Elli recht. Sie führt Friedhelm zu einem kleinen Stall an der Seite des Hofes, der ein altes Wellblechdach hat und einen kleinen Zugang zum Inneren des Gemäuers. Ich hoffe nicht, dass sich dort meine Unterkunft befindet.
»Äh, Frau Elli?«
»Elli reicht.«
»Gerne, Elli … ja, vielleicht zeigen Sie mir dann mal das Zimmer oder den Stall. Elli!?«
Elli mustert mich, während ich sie mustere.
Sie trägt einen dunkelgrünen Trainingsanzug, vermutlich aus NVA -Beständen. Die Hose ist in Kniehöhe extrem ausgebeult, was in Ellis Fall ganz bestimmt nicht an besonders sportlicher Beanspruchung der Textilie liegen kann, sondern nur mit der Tragehäufigkeit zu tun hat. Elli ist klapperdürr, so dürr, dass Sport eine Lebensbedrohung darstellen würde und keine Freizeitbereicherung. Elli fehlen, grob geschätzt, zwischen 30 bis 40 Kilo Körpermasse, um den Anzug auch nur halbwegs auszufüllen. Ihr Haar ist sehr kraus, ich hoffe, von Natur aus, alles andere wäre eine Bankrotterklärung des Frisörhandwerks. Wäre da nicht diese kleine Auswölbung im Brustbereich, könnte man annehmen, dass Elli ein Mann wäre. Ein sehr dünner Mann.
»Sie schlafen bei Friedhelm.«
»Das glaube ich nicht.«
»Ihr Problem. Schlafsack?«
»Wie?«
»Haben Sie einen?«
»Natürlich habe ich einen Schlafsack, aber deshalb werde ich noch
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