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Esel

Esel

Titel: Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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Richtung.«
    »Warum?«
    Weil ich Angst habe, dass gleich irgendwas mit Max kommt, das ich nicht mehr verarbeiten kann. Aber das kann ich ihr nicht sagen.
    »Ich muss mich schonen.«
    »Bist du verletzt?«, fragt sie sorgenvoll.
    »Ja, Meniskus.«
    »Warum sagst du nichts, dann gehen wir eben langsamer. Max hat auch Last mit dem Meniskus.«
    Hat? Hatte! Wenn überhaupt.
    »Oh.«
    »Wir haben es mit Salben versucht und Stützverbänden, keine Chance, aber er jammert nicht. Max erträgt alles.«
    Wenn er tot ist, ist das auch keine Kunst. Ich werde sie jetzt darauf ansprechen, ganz direkt. Was soll passieren, ich habe nichts zu verlieren.
    »Du sprichst von ihm, als wäre er noch da.«
    »Natürlich, wie soll ich denn sonst von ihm sprechen?«
    »Ich dachte, er ist tot.«
    »Aber deshalb muss ich doch nicht so tun, als wäre er weg.«
    Gegen Sabine habe ich keine Chance, weder mit der direkten Art noch sonst wie. Ich habe nur eine Option – Flucht!
    »Was ist das denn, ich glaube, ich bekomme einen Anruf.« Wie zur Bestätigung krame ich in meiner Hosentasche nach dem Handy.
    »Du hast es ausgeschaltet«, stellt Sabine nüchtern fest.
    »Vibrationsalarm.«
    »Der ist auch aus.«
    »Stimmt. Mist. Vertan.«
    »Ist nicht schlimm, das ist Phantomklingeln, ist ganz normal, geht aber automatisch weg«, versucht Sabine mich zu beruhigen. Sie ahnt nicht, dass ein Phantomklingeln das kleinste aller vorstellbaren Probleme für mich wäre.

12. Woanders ist das nur ein Teich
    Wir sind fünf Stunden durch ein Naturreservat gewandert, haben einen Wallpfad gestreift, einen Findling berührt, zwei oder drei Hügelgräber erahnt, auf einem slawischen Burgwall gerastet und zwischendurch immer wieder – Natur, Natur, Natur. Und das alles ohne eine Sekunde Pause von: DER STIMME !
    Wenn ich mir nur die Hälfte von dem gemerkt habe, was mir Sabine unterwegs erklärt hat, dann könnte ich jetzt aus dem Stand mein Biologie- und Erdkundeexamen nachholen ohne weitere Vorbereitung. Wahrscheinlich muss sie das tun. Sie muss reden. Und sie muss jemanden haben, der ihr zuhört. Jeder Mensch braucht jemanden. Aber warum muss ausgerechnet ich dieser Mensch für Sabine sein. Mir qualmt der Kopf von dieser Überdosis Naturkunde, und zum ersten Mal seit Jahren habe ich Mitleid mit allen Schülern dieser Welt, die sich jahrelang
zulehren
lassen müssen, ohne die Chance zu haben, sich wehren zu können. Mal abgesehen von umfangreichen und nicht ganz risikolosen Komplettverweigerungen.
    Jetzt liegt Großberlitz vor uns. Ein kleines Dorf mit pittoresken Fachwerkbauten. Und wenn das Großberlitz ist, dann möchte ich nicht wissen, wie Kleinberlitz aussieht. Neben einer verwitterten Backsteinkirche zähle ich aus der Entfernung nur noch fünf andere Gebäude, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dahinter noch andere befinden, die sich aus Angst vor Fremden klein machen und verstecken.
    »Da hinten ist es schon«, sagt Sabine.
    »Super.«
    »Die Alte Post ist mitten im Zentrum.«
    »Super.« Zentrum?
    »Haben ein ganz tolles Essen.«
    »Super.« Wo soll man denn hier ganz toll essen?
    »Max liebt ja die Nudelsüpp.«
    »Super.«
    Mehr als ein ›Super‹ ist nicht mehr drin, schon lange nicht mehr. Ich bin völlig platt, und auch Friedhelm ist an seine Grenzen gestoßen. Er lässt Inge Inge sein und beißt sie bereits seit zwei Stunden nicht mehr. Friedhelm hat gelernt, dass irgendwann auch so was keinen Sinn mehr hat und außer Kraftverlust nichts bringt.
    Nur Sabine läuft wie auf Duracell-Batterien. Ihr ist nichts anzumerken, sie ist so frisch wie am Start unserer Tour. Dabei sieht sie gar nicht so sportlich aus. Für einen Moment stelle ich mir vor, dass ihr Max sie trägt, was für ein Bild.
    »Geht’s noch?«, fragt die fitte Stimme.
    »Klar, kein Problem.«
    In meinen Schuhen findet eine der schlimmsten Kontaminierungen aller Zeiten statt. Ich zittere bei der Vorstellung, meine Füße an die Luft befördern zu müssen, und kann den Zustand meiner Socken nur erahnen. Seit einiger Zeit verursacht jeder Schritt ein Geräusch, als würde sich in meinen Schuhen die Fußsohle von einem honigverschmierten Bodenbelag lösen. Schwapp. Schwapp. Schwapp. Ekelhaft.
    »Ich red’ und red’, wir haben die ganze Zeit kaum über dich gesprochen«, fällt Sabine kurz vor dem Ziel ein.
    »Macht nichts, ich hör’ auch gerne mal nur zu.«
    »Was machst du eigentlich beruflich?«
    Ich versuche es mit einem Witz.
    »Wie heißen die Typen, die schon morgens

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