Esel
beim Bäcker scheiße drauf sind?«
»Straßenbahnfahrer?«
Ich schüttele den Kopf.
»Nachtwächter?«
»Nachtwächter?«, frage ich.
»Weil sie eine schlimme Nacht hatten.«
»Seh’ ich aus wie ein Nachtwächter?«
»Nein, stimmt, wie blöd … wie war noch mal die Frage, ich liebe ja Rätsel.«
»Wie heißen die Typen, die schon morgens beim Bäcker scheiße drauf sind?«
»Gartenarchitekten. Stimmt’s? Ich kannte mal einen, der war den ganzen Tag schlecht gelaunt. Gut, er war arbeitslos, aber das ist doch kein Grund, den ganzen Tag schlecht gelaunt zu sein.«
»Lehrer.«
»Lehrer?«
Sabine schaut mich an, als hätte ich ihr gerade einen schlimmen Gendefekt gebeichtet.
»Ja, Lehrer, das sind die Typen, die schon morgens beim Bäcker …«
»Verstehe ich nicht.«
»Macht nichts, Sabine, macht nichts.«
»Bist du denn auch immer schlecht gelaunt?«
»Nein, es war nur ein Witz, ein Klischee, mehr nicht.«
»Aber du bist Lehrer?«
»Ja, ja, das schon. Englisch und Geschichte.«
»Hauptschule?«
»Gymnasium.«
»Macht nichts.«
»Finde ich auch.«
Während meiner Anreise bin ich felsenfest davon ausgegangen, dass die Uckermark nur eine erkennbare Kernkompetenz besitzt – Stille. Aber da wo Sabine ist, gibt es keine Stille. Auch die Uckermark ist da machtlos.
»So, jetzt haben wir es wirklich gleich geschafft. Wollen wir erst zum See, die Esel haben bestimmt Durst«, sagt Sabine, die Eselexpertin.
»Was für ein See?«
»Der Immersee, da vorne.«
Da vorne liegt etwas vor uns, das man bei uns in Köln Teich nennt. Zwischen dem einen und dem anderen Ufer liegen vielleicht 200 Meter, mehr nicht. So etwas See zu nennen ist so falsch wie die Bezeichnung Literatur für den Beipackzettel eines Durchfallpräparates.
»Ach da, ja, da lass uns mal eben mit den Eseln … ja, ja, die haben bestimmt Durst.«
Friedhelm hat sich erst gar nicht damit aufgehalten, auf mein Einverständnis zu warten. Er ist mit Inge vorgeprescht, die ihm mit einem gebührenden Sicherheitsabstand gefolgt ist. Esel wissen anscheinend immer, was zu tun ist.
»Und wenn die zu tief reingehen?«, frage ich, mäßig besorgt und das auch nur wegen meines Rucksacks, den Friedhelm noch trägt.
»Keine Angst, die gehen nicht tief rein. Esel haben großen Respekt vor Wasser.«
»Friedhelm und Inge auch?«
»Alle. Weißt du denn nicht, woher der Ausdruck Eselsbrücke stammt?«
Nein, das weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass es im Englischen eine Verlaufsform nur im Simple Present und Simple Past gibt, aber das nützt mir jetzt gar nichts.
»Ich erklär’s dir, Björn. Esel würden niemals einen Fluss überqueren, weil sie den Grund des Flusses nicht erkennen können. Deshalb muss man eine Brücke bauen, damit sie über den Fluss gehen können.«
»Ah ja, und deshalb gehen Esel auch nicht tief in den See.«
»Richtig.«
Was für Friedhelm definitiv nicht gilt. Wenn mich nicht alles täuscht, sehe ich da vorne nur noch seinen Kopf, mein Rucksack muss bereits unter Wasser sein.
Ich bin nass geschwitzt, und meine gesamten Wechselklamotten befinden sich im Immersee.
»Komisch, das machen Esel nie«, stellt Sabine mit aufrichtigem Erstaunen fest. »Willst du was von mir anziehen?«
O ja, bitte die Caprihose und die schicke Bluse, da träume ich schon die ganze Zeit von.
»Nein danke, die haben ja wohl hoffentlich was zum Trocknen in der Alten Post.«
Ich muss jetzt rennen, schnell rennen. Zum Immersee. Um zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Schwapp. Schwapp. Schwapp.
»Friedhelm? Komm da raus! Verdammt nochmal, komm sofort da raus!«
13. Nicht jeder ist ein Esel, schade eigentlich, manchmal
Der Wirt der Alten Post macht einen sehr sympathischen Eindruck, was nicht daran liegt, dass er aus Westfalen kommt, sondern an seiner ausgeprägten Lebensfreude, die ansteckend wirkt. Er schaut freundlich aus. Sagt nichts über meinen Zustand, nimmt mir Friedhelm ab, als wäre das einzig und allein sein Job, und er zwinkert mir verständnisvoll zu, so als wolle er mir sagen, dass er ganz genau weiß, was hinter mir liegt. Und er gibt mir das Gefühl, dass er bei dem, was noch vor mir liegt, dafür sorgen wird, dass es halb so schlimm wird. Das kann er nicht, aber es tut trotzdem gut. Der Mann ist eine vertrauensbildende Maßnahme auf zwei Beinen. Wahrscheinlich interpretiere ich da jetzt was rein, aber wer eine Wanderung mit Sabine hinter sich hat, der würde auch in einem Stück Treibholz etwas einladend Positives
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