Esel
Buchen unseren Weg. Sabine erklärt mir jeden Strauch, jedes Blatt, jedes Moosgewächs. Sie hat ein unglaubliches Bedürfnis nach Informationsvergabe. Und je mehr sie doziert, erklärt und über völlig uninteressante Dinge schwadroniert, desto größer wird mein Wunsch, sie zu beißen, um sie damit ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen. Ich tue es nicht, weil ich es nicht schaffe. Ich habe noch nie jemanden gebissen, und bei Sabine möchte ich auch nicht damit anfangen. Stattdessen latsche ich friedlich, schweigend und entnervt neben ihr her und bewundere Friedhelm für seine grenzenlose Freiheit des Tuns und Seins.
Sabine hat sich entschlossen,
ihre
Inge ohne Strick laufen zu lassen, und mir das Gleiche für
meinen
Friedhelm geraten. Mir ist alles egal, von mir aus sollen die beiden Esel desertieren. Sie hätten jeden Grund. Und wer bin ich, dass ich die Freiheit einer Kreatur mit einem Strick zu verhindern wage. Solche Gedanken habe ich mir noch nie gemacht. Seit gestern habe ich schon etwas gelernt. Danke, Karin, aber glaub ja nicht, dass ich dich heute anrufe, das Handy bleibt aus.
Und jetzt muss ich mir endlich überlegen, wie ich Sabine loswerde, deren immer fürchterlicher werdende Stimme mich sonst zum Wahnsinn treiben wird.
»Ich liebe diese Landschaft, gleich vom ersten Augenblick an.« Sabine zwingt mir ein Gespräch auf, das ich gerne ablehnen würde, während Friedhelm jetzt nicht nur beißt, sondern auch noch deftig zutritt. Ein ganzer Kerl. Inge erträgt es. Entweder steht sie auf Schmerz, oder bei Eseln muss das so sein. Genau wissen möchte ich es eigentlich nicht.
»Diese Landschaft ist für mich nur eine provozierende Stimmungsvorgabe«, setze ich Sabines Liebeserklärung an die Uckermark entgegen.
»Wie meinst du das denn?«
»Ja, wie ich es sage … alles schön, alles grün, alles gut, das sollst du denken, und es funktioniert ja auch.«
»Du, find’ ich ein bisschen kurz gedacht, Björn.«
»Hast du jemals das Gegenteil empfunden, wenn etwas wunderschön ist? So im Sinne von – Regenbögen finde ich zum Kotzen – dieser Schnee ist ätzend weiß – dieser blöde weite Strand ist hässlich?«
»Warum sollte ich das tun?«, fragt sie mit der Unschuld einer Frau, die es wirklich nicht weiß.
»Mal einen eigenen Gedanken riskieren, schon mal drüber nachgedacht?«
»Bist du irgendwie schlecht gelaunt, du?«
Ja, das bin ich, seit du dich entschlossen hast, mich zu begleiten. »Nein, warum sollte ich schlecht drauf sein?«
»Dachte schon. Was magst du denn an der Uckermark?«
Warum soll ich dir das sagen? »Warum?«
»Interessiert mich. Mein Mann sagt immer …«
Gott sei Dank, sie ist verheiratet.
»… diese Landschaft hat noch so was Unverbrauchtes.«
Kein Wunder.
»Er liebt diese Gegend fast noch mehr als ich.«
Und wo ist er dann? Braucht wahrscheinlich wie ich ganz dringend eine Auszeit von deiner Stimme, denke ich im Stillen.
»Vielleicht fahren wir irgendwann mal wieder zusammen hin.«
»Wo ist der denn jetzt?«
»Er ist tot.«
Was? Sie sagt das so unbekümmert, als hätte sie mir gerade verraten, dass sie am liebsten Kartoffeln mit Apfelkompott isst. Wie soll ich diese Frau jetzt weiter brüskieren, wie soll ich ihr erklären, dass ich lieber allein laufen möchte, jetzt, wo ich erfahren habe, dass Sabine ihren Mann verloren hat. Sie ist eine Witwe, das ist in unserer Altersklasse noch etwas sehr Seltenes – geschieden, ja, aber Witwe? Ich bin in dem Glauben erzogen worden, dass Witwen grundsätzlich schwarz tragen, gebückt gehen und mindestens seit 70 Jahren auf der Welt sind. Auch wenn ich weiß, dass das kompletter Blödsinn ist, habe ich einfach keine Gelegenheit gefunden, an diesem Bild etwas zu korrigieren. Sabine entspricht jedenfalls nicht im Entferntesten meinem Bild von einer Witwe.
»Das tut mir leid.« Und das meine ich so, wie ich es sage.
»Ach, schon gut.«
Aber hat sie nicht gerade gesagt, dass sie mit ihrem Mann vielleicht noch mal in diese Gegend reisen will.
»Bist du auch verheiratet?«, fragt sie mich.
»Ja.«
»Glücklich?«
»Natürlich.«
»Schön.«
»Ja, finde ich auch.«
»Wie heißt deine Frau?«, will sie von mir wissen.
»Karin.«
»Max. Mein Mann heißt Max.« Heißt? Hieß!
Sie ist verrückt, sie muss verrückt sein. Und wenn sie verrückt ist, dann darf ich sie auch allein lassen. Und ganz allein wird sie ja nicht sein, sie hat Inge.
»Du, ähm, ich glaube, ich geh’ jetzt in eine andere
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