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Esel

Esel

Titel: Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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Eselsart, spüre ich etwas in meiner Hose, das mir so fremd vorkommt wie der Stoff, aus dem diese Hose gemacht wurde. Vermutlich irgendwas aus NVA -Beständen. Die textile Antwort auf die »bösen« synthetischen Stoffe des Westens: dunkelbraun, ohne jeden Schnitt, ein Jogginganzug für Panzergrenadiere. Vielleicht hat ein Gast die Hose hier vergessen, oder sie gehörte zum Inventar, das Günter neben der Immobilie mit erworben hat. Woher auch immer dieses traurige Kapitel Beinkleidgeschichte stammen mag – ich spüre etwas. Ein Brummen, ein Vibrieren – mein Handy! Und auf dem Display steht ihr Name: Karin.
    »Ist das dein Handy?«, fragt Günter.
    »Ja.«
    »Willst du nicht rangehen?«
    »Nein.«
    »Sicher?«
    »Ja.«
    Das Vibrieren hört auf. Ein bisschen länger hätte sie es schon versuchen können.
    »Noch ein Bier?«
    Günters Frage kommt im genau richtigen Moment.
    »Ja.«
    »Für mich auch, bitte«, flötet die Stimme und wendet sich wieder mir zu, während Günter die Getränke holt: »Mach’s doch lieber aus, kannst ja sonst gar nicht abschalten.« Sabine legt ihre Hand auf die Stelle, wo sie das Handy in meiner Hose vermutet. Na, wenn das der Max sieht.
    »Och, ich kann auch so abschalten.«
    »Morgen haben wir eine sehr lange Route vor uns«, sagt Sabine.
    Nein, haben wir nicht. Du vielleicht, ich nicht.
    »Echt?«
    »Mhm.«
    Sabine faltet einen Plan auf dem Tisch aus und lässt ihre Finger die kommende Route abmarschieren: von Großberlitz über Juckerneck nach Plötzen am Niedersee. 22 Kilometer. Das sind mindestens 325 657 Wörter, die auf mich einprasseln werden. 3676 mehr oder minder vollständige Sätze. Viele, viele Antworten, ohne dass eine Frage gestellt wurde. Unzählig viele Ahs, Ohs und IST - DAS - SCHÖN -Kaskaden. 22 000 Meter Albtraum auf dem Eselspfad. Rauf und runter über die sanften Hügel der Uckermark. Durch endlose Baumalleen von Buchen, Eichen und was weiß ich noch. Und weit und breit niemand, der einen retten kann. Das kann selbst Karin nicht gewollt haben.
    Sabines Finger schleicht voller Vorfreude jeden kartographierten Zentimeter genüsslich ab, während unsere Nudelsüpp gemächlich erkaltet. Ich folge, mit stumpfem Blick, ihrer Wanderlinie. Keinen Meter werde ich mit ihr mehr gemeinsam marschieren, das steht fest. Sie weiß nur noch nichts davon.
    Friedhelm hätte längst zugebissen. Schon schade, wenn man manchmal kein Esel ist.
    MAILVERKEHR
    Liebe Karin,
    habe gesehen, dass du versucht hast, mich anzurufen. Konnte leider nicht ans Handy gehen, weil ich gerade mit Friedhelm einen Fluss überqueren musste. Hatte leider nur eine Hand frei, und die brauchte ich für den Strick.
    Hoffe, dir geht es gut. Ich werde früh ins Bett gehen. Die Wanderung heute war wunderschön, aber auch sehr anstrengend. Bin ganz schön müde.
    Vielleicht rufe ich dich morgen mal an.
     
    Dein Björn
     
    Gesendet vom Handy – 16:34 Uhr
    • • •
    Hallo Björn,
    OK .
     
    Karin
     
    Gesendet vom Handy – 16:37 Uhr
    • • •
    Danke!
     
    B.
     
    Gesendet vom Handy – 16:38 Uhr
    • • •
    Wofür?
     
    Gesendet vom Handy – 16:42 Uhr
    • • •
    Hallo Björn,
    eine Frage, fällt mir gerade ein, dachte immer, dass Esel keine Flüsse überqueren, stimmt das etwa nicht?
     
    Karin
     
    Gesendet vom Handy – 16:59 Uhr
    • • •
    Nein.
     
    Gesendet vom Handy – 17:01 Uhr

14. Man kann nie müde genug sein, wenn man schlafen will
    Mein Zimmer hat alles, was ein Gästezimmer haben muss. Mehr aber auch nicht. Ein Bett, ein kleines Nachttischchen, eine Lampe für die Gesamtbeleuchtung und eine kleine Lampe zum Lesen. Ach ja, und ein Fenster zum Hof. Die Toilette befindet sich auf dem Gang, direkt neben der Dusche, die ich mir mit Sabine teilen muss, deren Zimmer dem meinigen direkt gegenüberliegt. Auf Bilder hat Günter bei der Einrichtung der Gästezimmer verzichtet, eine gute Idee. Nichts ist schlimmer als Bilder, die dem Urlauber drinnen etwas vorgaukeln, das es draußen gar nicht gibt.
    In Lucca hängen in jedem Zimmer Bilder. Schäfer, die auf ihre Schafe starren, im Hintergrund Olivenbäume. Schafe, die auf nichts starren, im Hintergrund Olivenbäume. Eine alte Holzbank, auf der niemand sitzt, im Hintergrund Olivenbäume. Keines dieser Motive kann man in unmittelbarer Nähe unseres Feriendomizils in der
richtigen
Toskana sehen. Ein paar Schafe vielleicht, einen Schäfer oder zwei, eine Holzbank, aber nichts in genau der auf den Bildern gemalten Anordnung. Komisch,

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