Esel
Keppler, du Känguru. Jetzt, das Sprungbein zuerst, ein langer Schritt, das Standbein folgt. Keppler, du kannst fliegen … ja … ja … Flieg! Flieg! Flieg! Keppler, du Adler! Irgendwas hängt an meinem Standbein fest. Ich kann mich nicht umdrehen. Ich kann nur in Flugrichtung schauen, nach vorne. Aber ich ahne, was mein Standbein am Flug des Phönix hindert – der Ast, den das Sprungbein mit Leichtigkeit überwunden hat.
Die Summe aus Geschwindigkeit und Masse sorgt für eine Bodenlandung sondergleichen.
Es tut nur einen Moment lang weh, dann registriere ich den modrigen Geschmack in meinem Mund. Vor einer Landung auf einem Weg in der Uckermark sollte man den Mund unbedingt schließen. Wenigstens habe ich jetzt keinen Hunger mehr und pule Erdreich und Undefinierbares aus den Zähnen.
Wo zum Teufel steckt jetzt Friedhelm. Er müsste längst bei mir sein, so schnell war ich nun auch wieder nicht.
Ganz vorsichtig hebe ich meinen Körper. Glück gehabt, es scheint nichts gebrochen zu sein. Der Ast ist wirklich sehr groß. Kein Wunder, dass ich da hängen geblieben bin. Hätte jedem passieren können.
Vielleicht hätte ich auf das Hochkrempeln der Hosenbeine verzichten sollen. Jetzt sehe ich zwei Schürfwunden, wie ich sie früher immer hatte. Früher, als ich zehn war.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Wer ist das?
Die Stimme kommt aus dem Unterholz und gehört einem Indianer. Kein Scheiß, da steht nun ein echter Indianer vor mir. Er hat sich irgendeinen Wildlederlappen zwischen die Beine gebunden, seine Füße stecken in Mokassins, um den Hals baumelt eine primitive Perlenkette, und in den langen, zotteligen Haaren hat sich eine Feder verfangen, die aber eher von einer Taube als von einem Adler stammt. Die Uhr mit den roten Digitalziffern am Handgelenk des Indianers halte ich für einen Stilbruch. Aber man sollte ja nicht kleinlich sein, wenn man mitten in der Uckermark einen Indianer trifft.
»Ähm, ich bin gestürzt«, erkläre ich unaufgefordert.
»Das habe ich gesehen«, sagt der Indianer.
»Was haben Sie gesehen?«
»Dass Sie gestürzt sind.«
Aber das andere hat er nicht gesehen, das darf er nicht gesehen und erst recht nicht gehört haben. Bitte nicht!
»Reden Sie immer mit Ihrem Esel?«
O mein Gott! Er hat es gehört, er hat alles gehört.
Peinlich. Peinlich. Peinlich.
»Das ist eine, das war eine … ich … nein … eigentlich nicht …«, stammele ich.
»Ich rede auch mit meinen Tieren.«
Sie sind ja auch ein Indianer, denke ich. »Ach, so?«
Noch besteht die Möglichkeit, dass er mich gar nicht ernst nimmt. Ich kann ihn schließlich auch noch nicht richtig ernst nehmen. Da wo ich herkomme, gibt es nur zwei Möglichkeiten, als Indianer durch die Gegend zu laufen. Entweder ist Karneval oder ein Pfleger in der Nähe.
»Darf ich Sie auf einen Tee einladen?«, fragt Winnetou, dessen richtigen Namen ich nicht kenne. »Ich heiße Marvin.«
Natürlich, wie sonst.
»Aber so nennt mich schon lange keiner mehr.«
»Und wie nennt man sie jetzt?«
»Chavatangawunua.«
»Ah ja.«
»Das ist aus der Sprache der Hopi-Indianer.«
»Interessant.«
»Bedeutet: Kurzer Regenbogen. Und was ist nun mit dem Tee – Interesse?«
Interesse? »Tee ist eine wunderbare Idee. Gerne, haben Sie zufällig auch Kekse oder so was?«
»Nein.«
Das hätte ich wissen müssen. Indianer essen keine Kekse. Sie tragen aber auch keine Digitaluhren.
»Haben Sie Hunger?«
»O ja.«
»Dann mach’ ich uns was.«
»O ja.«
»Kommen Sie, ich wohne nicht weit von hier.«
Friedhelm steht genau da, wo ich ihn verlassen habe. Ich bin ein sehr einsames Rennen gelaufen. Dafür habe ich einen Indianer kennengelernt, der Tee hat, aber keine Kekse oder so was.
»Was ist?«
Friedhelm hebt den Kopf, um ihn gleich wieder zu senken.
»Alles klar?«
Friedhelm wiederholt die Geste. Er nickt. Er nickt tatsächlich. Und er kommt auf mich zu. Ganz langsam. Friedlich. Kopf rauf, Kopf runter. Er bleibt vor mir stehen.
»Na?«
Friedhelm stößt mich mit seinen Nüstern vor die Brust, nicht nur einmal, mehrfach. Er will mir etwas sagen.
»Ist ja gut.«
Aus dem Stoßen wird ein Stupsen, sein ganzer Körper zittert dabei ein wenig, und die langen Ohren drehen sich.
»Ja, Friedhelm. Danke, das tut gut. Danke.«
Für Friedhelm bin ich ein Sieger. Und jetzt fühle ich mich auch so.
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Liebe Karin,
ich glaube, ich verstehe jetzt, warum du mich hierher geschickt hast. Und ich würde so gerne mit dir darüber
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