Eskandar: Roman (German Edition)
lebendigem Leib verbrannt, sagt eine andere Frau.
Sie haben die Türen des Kinosaals von außen verschlossen, sagt ein Mann.
Gawasnha, ein Anti-Schah-Film, wurde gezeigt. Die Geschichte eines Mannes, der gegen eine Gewaltherrschaft kämpft.
Sie haben Feuer gelegt, und die Menschen sind lebendig verbrannt.
Sie haben meinen Mann getötet, sagt wieder eine andere Frau. Bisher habe ich in meinem Haus gesessen und habe gekocht und mich um die Kinder gekümmert. Jetzt werde ich hinausgehen und die Mörder meines Mannes finden und seinen Tod rächen, sagt die Frau ohne jeden Hass.
Am Anfang vermuten alle, es ist die Tat des Königs, dann stellt sich heraus, es ist die Tat religiöser Fanatiker, die dieses Verbrechen dem Schah in die Schuhe schieben und ihn damit diskreditieren wollten.
Tags darauf brennen im ganzen Land Kinohäuser. Einen ganzen Monat lang steht das Land in Flammen. Zum zweiten Mal in seiner Geschichte erlebt der Iran einen schwarzen Freitag. Wieder sind die Straßen getränkt mit dem Blut des Volkes.
Nimtadj nennt ihren Film: 19 August 477
Es geht längst nicht mehr um Löhne und die Beteiligung an Gewinn aus dem Ölgeschäft; es geht längst nicht mehr um gerechte Verhandlungen und das Recht der freien Rede, kommentiert Nimtadj zu Bildern, die sie auf den blutgetränkten Straßen der Hauptstadt gemacht hat. Nun gehen die Menschen zu Hunderttausenden auf die Straße und brüllen ganz andere Parolen.
Marg bar Schah, skandieren sie mit einer Stimme.
Sie wollen nur noch den Tod des blutrünstigen Diktators.
Der Kaiser entlässt über tausend politische Gefangene. Doch die Forderung der Straße bleibt die gleiche.
Marg bar Schah – Iran qharqhe mossalsall-ha.
Tod dem Schah. Iran versinkt im Donner der Maschinengewehre.
Iran qharqhe mossalsall-ha, singt Aftab, als wäre es ein Kinderreim.
Iran versinkt im Donner der Maschinengewehre.
Ende Oktober 1978, wenige Monate nach der Hinrichtung seiner Tochter, zeigt das Fernsehen Bilder von wütenden Demonstranten, die mit Benzin gefüllte Flaschen anzünden und sie gegen die Panzer und Fahrzeuge der Armee werfen. Die wehren sich mit Wasserwerfern, und sie schießen scharf, auch auf die streikenden Ölarbeiter, die zu Tausenden mit erhobenen Fäusten durch die Straßen von Abadan ziehen und ihre Parolen skandieren.
Marg bar Schah.
Tod dem Schah.
Jetzt erhält der Mörder meiner Tochter seinen Todesstoß, sagt Eskandar-Agha.
Seht her, ruft Aftab und legt eine Kassette auf den Tisch. Das hat eben jemand über die Mauer geworfen.
Gib her, sagt Nimtadj. Darauf habe ich schon längst gewartet. Das sind Kassetten, die die Anhänger vom Ayatollah in die Gärten und Häuser der Leute werfen. Ayatollah-Khomeini fordert darin aus seinem Exil in Paris die Bevölkerung auf: Erzeugt Flüsse des Blutes.
Wie viel von unserem Blut sollen wir noch geben?, fragt Eskandar-Agha weinend und bereut es sofort, weil Aftab im Zimmer ist.
Der Schah hat meine Mutter getötet, sagt die Kleine. Er hat mit der Axt ihre Hand abgehackt, weil er wollte, dass sie aufhört zu schreiben.
Soll der Herrgott mich töten, murmelt Eskandar-Agha, damit ich endlich meinen Mund halte. Das arme Kind ist erst sechs Jahre alt.
Komm her, mein kleiner Sonnenschein, sagt Roxana-Khanum. Wir schalten den Fernseher für dich ein, gleich kommt das Kinderprogramm. Setz dich zu deinem Großvater und vertreib die hässlichen Bilder aus seinem und deinem Kopf.
Doch statt des erwarteten Kinderprogramms zeigt das Fernsehen Bilder von wütenden Frauen, die noch nie oder schon längst keinen Schleier mehr getragen haben, aber jetzt in dem Stück Stoff das Symbol ihres Widerstands sehen.
Allah, Allah, Mohammad, Rahbare ma khosh amad!, rufen sie.
Gott, Gott, Mohammad, unser Führer, sei willkommen.
Rahbare ma khosh amad, macht die kleine Aftab die Frauen nach und streckt wie sie ihre Faust.
Ayatollah-Khomeini hat bestätigt, er erhebe keinen Anspruch auf die Führung des Iran, sagt der Nachrichtensprecher. Er will lediglich die politischen und sozialen Verhältnisse im Land verbessern.
Die Leute, die ich filme, glauben dem Ayatollah, sagt Nimtadj. Sie schenken ihm ihr Vertrauen und glauben, er wird sich um die Menschen in den Armenvierteln, und die verarmte Landbevölkerung kümmern. Und sie glauben, dass er politische und gesellschaftliche Freiheit und die Freiheit der Presse bringen wird. Damit hat er sogar die Linken auf seine Seite gezogen.
Er spricht die Sprache, die jeder im Iran versteht,
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