Eskandar: Roman (German Edition)
habe auf dem Feld gearbeitet, Erde für Lehmmauern gestampft und Reisfelder bestellt, aber von allen Arbeiten gefällt mir der Beruf des Schreibers und Geschichtenerzählers am besten. Ich vergesse die Zeit und meine Sorgen. Vom Erzählen und Schreiben werde ich niemals müde, sagt Eskandar und beeindruckt die Männer mit seinen vielen Seiten Aufzeichnungen. Seht her, von der ersten bis zur letzten Seite bleibt meine Schrift stets gleichmäßig und leserlich. Briefe schreibe ich besonders gerne, ruft Eskandar-Agha. Persönliche Briefe, in denen die Menschen von ihrem Leben berichten, von ihrer Liebe und Zuneigung, ihrem Hass, ihrer Wut und Eifersucht. Briefe, in denen es um das Einfädeln von Hochzeiten, um Erbschaften und Vormundschaften geht. Und ich sage euch eins, ruft Eskandar, Frauen zählen zwar nur selten zu meiner Kundschaft, ihre Briefe aber gehören zu den besten, die ich die Ehre habe zu schreiben. Es ist schon vorgekommen, dass ich weinen musste, während ich den Brief einer Saifeh schrieb, erzählt Eskandar.
Bleib doch gleich ganz im Basar, schlagen die Basari vor. Die Geschäfte laufen nicht schlecht. Die neuen Pläne des Schah und seine modernen Ideen beleben den Handel. Wir kaufen und verkaufen wie schon lange nicht mehr und müssen Verträge, Rechnungen, Listen, Urkunden, Vereinbarungen lesen und verfassen, aber von uns kann keiner lesen und schreiben. Einen wie dich könnten wir wirklich gut brauchen. Und wenn es nichts zu schreiben gibt, erzählst du uns eben eine von deinen Geschichten und verdienst damit dein Brot.
Einer der Männer springt auf, ruft, warum warten? Komm mit, ich habe jetzt gleich eine Arbeit für dich. Ich möchte, dass du meinen Namen und den meiner Söhne auf meinen Verkaufskarren schreibst. Das macht sich gut. Dann denken die Leute, ich bin einer von diesen Neuzeitigen, die schreiben können. Sie werden glauben, dass ich schlau bin und die bessere Ware habe, und sie werden lieber bei mir einkaufen als bei denen, die nicht mit der Zeit gehen wollen, sagt er und bringt die anderen Männer zum Lachen.
Ein anderer gibt Eskandar-Agha einen Vorschuss. Und morgen kommst du zu mir, sagt er und schreibst auch für meinen Laden ein Schild.
Bleib in Schiras, rät ihm der freundliche Agha-Nossrat. In diesem Basar und bei diesen fleißigen Männern bist du am richtigen Ort.
Eskandar tut, was der freundliche Händler ihm rät, und bleibt, und er dankt Allah und gelobt, eine Opfergabe zu erbringen für all die Güte, die ihm zuteil geworden ist.
Eskandar-Agha spielt Schicksal
Am nächsten Tag besorgt er sich beim Schreiner Holz und Nägel für eine neue Schreibkiste, er kauft neues Papier, schnitzt neue Schreibfedern und ersteht sogar eine Brille aus zweiter Hand, weil er findet, dass er damit klüger aussieht. Er kann durch das dicke Glas zwar nicht mehr scharf sehen, aber wenn er sie weit genug herunterrutschen lässt, kann er problemlos über ihren Rand gucken.
Kauf dir eine Hose und ein Hemd nach westlicher Art, rät der freundliche Herr-Nossrat. Es ist besser, wenn du nicht aus der Reihe tanzt. Wir alle hier im Basar folgen der Aufforderung unseres neuen Schah und tragen statt unserer traditionellen Stammeskleidung Hosen und Hemden wie die Farangi. Er will, dass seine Untertanen alle gleich aussehen, damit wir uns wie ein Volk fühlen. Was soll man machen, sagt der freundliche Nossrat-Agha hinter vorgehaltener Hand. So hat jeder seine eigene Vorstellung von Gleichheit und Gerechtigkeit.
Nur widerwillig gibt Eskandar-Agha sein gerade verdientes Geld für eine Hose und ein Hemd nach Farangi-Art aus, nimmt am Eingang zum Basar auf seiner alten Kleidung als Unterlage Platz und bekommt sofort Kundschaft, und zwar von einer jungen Frau.
Verehrter Vater, diktiert sie mit trauriger Stimme unter ihrem Gesichtstuch hervor, sicher wundern Sie sich, einen Brief von Ihrer Tochter zu erhalten. Bitte machen Sie mir keine Vorwürfe, dass ich mich dem Blick fremder Männer ausgesetzt habe, auf die Straße gegangen bin und die Dienste dieses fremden Mannes, des ehrenwerten Schreibers, in Anspruch nehme. Vergeben Sie mir, verehrter Vater. Ich bin verzweifelt, so verzweifelt, dass ich es ohne Umschweife und geradeheraus sagen muss. Bitte vergeben Sie mir meine offenen Worte, Vater, aber Sie haben bei der Wahl meines Ehemannes einen Fehler begangen, diktiert sie, und Eskandar wünscht sich, das Gesicht dieser mutigen Frau sehen zu können. Verehrter Vater, falls es Ihre Absicht gewesen ist,
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