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Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siba Shakib
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zurückzulassen, und packt ihn wieder in sein Bündel. Statt auf die Straße zurückzukehren, macht er es wie damals und klettert über den Berg, der ihm heute weder schrecklich noch besonders groß erscheint.
    Sobald er den Gipfel erreicht, der keine Kante ist, sondern wie das Messingtablett seiner Mutter aussieht, blicken die hohen Öltürme ihn an. An ihrem Ende hängen wie Fahnen riesige gelbe Feuer, die das ausströmende Gas verbrennen. Sie fauchen und zischen, als kämen sie aus dem Maul eines Ungeheuers, das seinen Kopf in den Himmel reckt.
    Also gibt es doch Ungeheuer und Div, sagt Eskandar-Agha lächelnd zu sich selber und sieht im Geiste, wie er vor Mesterr-Richard steht, die Hand ausstreckt und faack sagt. Er sieht den Übersetzer, Tajelmoluk, Frau-Rohan, seine geliebte Roxana, den Mullah, die Freiheitskämpfer aus dem Süden und Norden, seine Freunde, den Reiter Hodjat, Agha-Mobasher, die schöne Mahrokh-Khanum und den Tiger.
    Rasch kramt er nach einem unbeschriebenen Zettel und schreibt: Mein ganzes Leben bin ich gegangen und gerannt, nur um hier im Nirgendwo anzukommen. Ich befinde mich genau dort, wo ich vor langer Zeit aufgebrochen bin. Und alles, was ich gefunden habe, ist nichts als diese Sehnsucht. Eine Sehnsucht, die mir zur lieben Begleiterin, mehr noch, Teil von mir selbst geworden ist; eine Sehnsucht, ohne die ich mich leer und unbedeutend fühle. Ich bin wie die Vögel, die sich auf die Suche machen nach Simorgh, dem schönsten und klügsten aller Vögel, nur um in ihre Heimat zurückzukehren und zu entdecken, dass alles, was sie gesucht haben, sie bereits in sich tragen. Und dass Simorgh niemand anderer ist als sie selber. Manchmal muss man weite Wege gehen, schreibt Eskandar-Agha, um die eigene innere Wahrheit zu finden.
    Eine Explosion reißt Eskandar aus seinen selbstmitleidigen Gedanken heraus. Und er erkennt weiter hinten rechts vom Lager Männer, die hacken, schaufeln und den Weg frei sprengen für noch mehr Rohre. Ein von Pferden gezogener riesiger Wagen ist mit den langen Rohren beladen. Eines nach dem anderen werden die Rohre heruntergelassen und von den Arbeitern miteinander verschraubt. Durch die Wüste und über Berge, bis zum Horizont frisst die Lebensader der Farangi sich durch die iranische Landschaft, von Naftun, der Fundstelle des Naft, bis nach Abadan am Persischen Golf, wo die Farangi zwanzig Jahre zuvor innerhalb von vier Jahren die größte Raffinerie der Welt gebaut haben. Dort laden sie das kostbare schwarze Gold, wie die Besatzer es nennen, in ihre Schiffe und bringen es für ihre blühende Industrie, ihren Fortschritt und ihre Kriege in ihre Heimat.
    Erst jetzt, vor dieser riesigen Anlage, beginnt Eskandar-Agha zu begreifen, was die Leute meinen, wenn sie sagen, die Engelissi hätten weder den großen Weltkrieg gewinnen noch ihr modernes Leben aufbauen können, hätten sie sich nicht des persischen Petroleums bemächtigt. Erst jetzt bekommt er eine Ahnung davon, warum Männer wie der große Freiheitskämpfer Mirza Kutshek-Khan ihre Hoffnung auf Bildung setzten. Man braucht eine Menge Kenntnis, Gelehrte und Fachleute, um derart Mächtiges zu errichten, notiert Eskandar. Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass alles Wissen meiner Landsleute nicht reichen würde, um so etwas aufzubauen oder gar in Gang zu halten. Der alte Verwalter hatte recht, als er damals sagte, es habe keinen Sinn, immerzu nur den Ausländern Vorwürfe zu machen.
    Eskandar muss bitter lachen, als er sich daran erinnert, wie der Mirza sagte, die eigentliche Quelle des englischen Reichtums ist nicht das Petroleum, sondern unsere eigene Unwissenheit und Dummheit. Auch ich bin ein Narr, schreibt Eskandar. Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst. Mein Herz ist wund und schmerzt. Ich bin keinen Deut besser als diese Farangi. Sie betrügen und nehmen wenigstens nur Fremde aus, ich aber habe jene hintergangen, mir vertraut haben und die ich liebe.
     
    Go away!, rufen die britischen Soldaten, die den Eingang der Anlage bewachen, und jagen Eskandar-Agha wie einen räudigen Hund davon.
    Faack, sagt Eskandar-Agha leise, damit die Soldaten es nicht hören, aber laut genug, dass ein Landsmann, der gerade durchs Tor kommt, es hört.
    Gott segne dich, sagt der Mann. Endlich ein Landsmann, der die Sprache der Farangi spricht. Der Mann stellt sich als Nossrat-Agha aus Schiras vor. Ich komme ein- oder zweimal im Jahr, bringe bestellte Waren, verdiene gutes Geld und kehre glücklich und zufrieden zu meiner

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