Eskandar: Roman (German Edition)
in die Nähe der Stadt Schiras, gezogen.
Was ist geschehen?, fragt Eskandar-Agha.
Nichts, antwortet der Polizist. Der Schah, Resa-Khan, hat das Anwesen des alten Palang-Khan konfisziert, um diese neuen Gärten, Häuser und Straßen zu bauen. Und auch diese Kreuzung hier hat er angelegt, auf der ich nun täglich meinen Dienst tue und den Verkehr regle, erklärt der junge Polizist stolz.
Und der Basar?, fragt Eskandar. Gibt es den noch?
Selbstverständlich, mein Herr, den gibt es noch, und den wird auch so schnell keiner abreißen, antwortet der Polizist mit dem gleichen Ernst.
Bereits am Eingang des Basars schlägt das Herz Eskandars schneller. In der schmalen, langen Hauptgasse tanzt der Staub im Licht, das in Kegel durch die Öffnungen von oben in den Basar fällt. Wie ein Süchtiger den Duft von Opium einatmet, saugt Eskandar den Duft der Gewürze, Seifen und Duftwässer tief in seine Lungen ein; die Rufe der Händler, das Klopfen und Hämmern der Handwerker spielen das gleiche vertraute Lied; Räder und Drehstühle surren und rattern, in allen Gassen und Winkeln schieben, schleppen und hieven Männer Waren, Kisten und Säcke. Die dunkle Ecke im hinteren Teil des Basars, in der die Nagelklopfer gearbeitet haben, ist nicht mehr dunkel, sondern wird jetzt auch erhellt von neuen Öffnungen im Dach, die neue hübsche Buden und Läden beleuchten.
Für den Abend mietet Eskandar sich im Teehaus ein. Er sucht das öffentliche Hammam auf, gönnt sich sogar einen Dallack, der den Staub und Schmutz der Straße von seinem Körper schrubbt und seine von der Reise müden Knochen und Glieder durchknetet. Anschließend isst er zwei Schalen Linsensoße mit Reis und fällt in einen tiefen Schlaf.
Nach nur vier Tagen lässt Eskandar die Hauptstadt mit ihrem Trubel hinter sich, schließt sich der erstbesten Karawane in den Süden an, zählt die Tage nicht, genießt die lange, aber bequeme Reise auf der neuen und geraden Straße in Richtung Süden und freut sich, endlich wieder in der Wüste zu sein. In einer Karawanserei westlich von Schiras isst Eskandar frischen Joghurt mit Brot, füllt sein Bokhtshe mit Käse, Brot und Datteln und reist allein weiter.
Wie damals, als er den verbotenen Berg erklommen hat, überwindet er auch jetzt seine Angst vor dem Ungewissen und ist entschlossen zu tun, was getan werden muss. Er will nicht mehr auf der Flucht sein, sich nicht mehr vor jedem Schatten, jedem Fremden in Acht nehmen müssen. Er will seiner müden Seele den wohlverdienten Frieden schenken, Frau-Mahrokh und seine Roxana aufsuchen, ihnen alles erklären und sie um Vergebung bitten, dass er erst nach sieben langen Jahren zu ihnen zurückkehrt.
Eskandar-Agha geht und geht und merkt nicht, dass er die neue Straße längst verlassen hat, seine Schuhe längst verschlissen sind und ihm von den Füßen fallen. Die Sonne verbrennt seine Haut, der Durst brennt in seiner Kehle, trotzdem schleppt er sich, seine Kiste und sein Bündel weiter und verliert mehr und mehr das Gefühl für Zeit und Ort, bis er eines Morgens aufwacht und den verbotenen Berg vor sich sieht.
Ohne dass es seine Absicht gewesen wäre, ist er zu seinem Dorf gewandert, in dem vor mehr als einem Vierteljahrhundert seine Mutter Sahra ihn in diese Welt geboren hat.
Vom Dorf ohne Namen ist nichts mehr übrig. Nur noch von Wind und Wetter zerfressene Mauerreste und das morsche Skelett des alten Baums. Nichts mehr deutet auf den Bach hin, der sich vom Anfang bis zum Ende des Dorfs durch Gärten und Felder schlängelte. Auf dem Friedhof kann Eskandar nur erahnen, wo sich das Grab seines Vaters, seiner Mutter, seiner Geschwister und das von Morad-kadjeh befinden.
Eskandar-Agha steht in der glühenden Hitze der Wüste an der Stelle, an der seine Mutter ihren letzten Atemzug getan hat, er will weinen, hat aber keine Tränen.
Vier Nächte lang legt Eskandar sich auf das gleiche Stück Erde zum Schlafen, auf dem er die ersten sieben oder acht Jahre seines Lebens geschlafen hat. Er presst den Rücken an die kniehohen Mauerreste der früheren Hütte, lauscht den Geräuschen der Wüste und dem Flüstern des Windes, versucht sich an seine Mutter zu erinnern, an den kleinen Eskandar von damals, will das Gefühl von Heimat in sich wecken. Im Morgengrauen des vierten Tages erwacht er und schreibt auf den Rand einer Seite in seinen Notizen: Nur mehr verbunden durch die zärtliche Hand und das Flüstern des Windes.
Eskandar-Agha verwirft den Gedanken, den weißen Stein seiner Mutter
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