Esti (German Edition)
Schon jenseits der Bravour, die zuweilen dennoch angedeutet ist. Eine elementare Heiterkeit: an der Grenze zum Schluchzen.
Ich verstehe, der Schlagzeuger nickte, nachdem Esti das begeistert vorgetragen hatte, Gould, Interferenz, Bravour ohne Bravour, Grenzen, ich verstehe, ficken wir dann jetzt oder nicht. Esti gab die entsprechende Antwort und war kein bisschen enttäuscht, nicht die Spur.
Appendix: Esti fühlte sich immer allein, immer, einsam, aber manchmal noch mehr allein, einsamer. Er tobte, wenn er das schrieb, schlug mit dem Kopf gegen die Wand, um die Enttäuschung über sich selbst zum Ausdruck zu bringen. Das von seiner Stirn tropfende Blut brachte ihn zur Besinnung, und auch wenn es weh tat, die alte Hexe des Selbstmitleids führte ihn nicht mehr in Versuchung.
V
VERHÄNGNIS UND BEDRÄNGNIS
Tiefpurpurnes Detail einer russischen Prinzessin
D en Sommer verbringt Esti zwischen italienischen Hügeln. Zum Tee am Nachmittag wird eine russische Prinzessin erwartet, Esti bekommt von den Gastgebern ein festliches Tuareggewand, Silber, handbestickter Halsausschnitt, die seidige Berührung des Perlleinens verursachte ein kühles, vornehmes Gefühl. Er fühlt sich in dem Überwurf groß, schlank, mehr noch, schön und mächtig. Er sieht das in den Augen der Köchin bestätigt, ja, sagt die Frau hinter einem gewaltigen Topf hervor und errötet. Das Gewand passt gut zu ihrer Gesichtsfarbe. Auch die Gastgeberin mustert Esti anerkennend, ich hoffe, Sie haben es auf Ihren nackten Körper angezogen! Darauf.
Die Prinzessin ist die Urenkelin eines berühmten Dekabristen, mütterlicherseits ist auch Schaljapin ein Verwandter, die Prinzessin hat noch auf dem Schoß des großen Sängers gesessen. Das erzählt sie schon selbst, mit zerstreutem Genuss, er hatte breite, kräftige Schenkel (sie sagt, Schänkel, offenbar scherzhaft gedacht), kräftig wie seine Stimme. Sie spricht mit jedem so, als würde sie ihn kennen. Sie beobachtet wie ein Zoologe.
Plötzlich verstummt sie und verschüttet mit einer erschreckend heftigen Bewegung den Inhalt ihres Glases, ich habe Platz für den Wein gemacht, und sie lacht wie ein kleines Mädchen. Wie einem guten, alten Freund flüstert sie Esti zu, ich möchte nicht immer reden, doch wenn ich schweige, fragt man mich sofort, was los sei. Eure Exzellenz, was ist los?, Esti kichert, die Prinzessin streift sanft wie ein Lüftchen am frühen Abend sein Gesicht. Daraufhin führt Esti aus, die Ungarn, obwohl sie eine Wagenladung (!) Gründe hätten, hassten die Russen nicht, es gibt keinen historischen Automatismus!, ruft er. Die Prinzessin weint über die Info. Eine bizarre, freie alte Frau, als wäre sie noch immer groß und mächtig, eine Freundin des Zaren, und gut möglich, dass sie es tatsächlich ist. Machen Sie sich keine Sorgen, sie lächelt durch die patriotischen Tränen hindurch, ich liebe die jungen Burschen – sie blickt in die Runde, das Gefolge, das sie begleitet, senkt den Kopf –, doch meine Familie ist mäßig glücklich, wenn ich das erwähne.
Prinzessin, Sie sind rot geworden, Esti verbeugt sich und denkt sehr an die Köchin, die Gesäßmuskeln wie ein Fußballer hatte (oder wie eigentlich?).
Schön wäre es … Ich glaube, dieser chaotische Junge, dieser Uljanov, hat noch gelebt, als ich mich noch zu erröten in der Lage wissen konnte. Durch den spätnachmittäglichen Abend huscht der eisige Schatten des Bolschewismus. Sein rauer Atem.
Noch beim Mittagessen hat die Gastgeberin erzählt, dass die Prinzessin bei Madame Claude angefangen habe. Esti, Sie wissen natürlich nicht, wer Madame Claude ist. Eine berühmte Pariser Madame, berühmt dafür, darauf zu bestehen, dass »ihre Mädchen« gebildet seien, mit jeder Frau oder jedem Mann, der sich einsam zu ihnen verirrte, sollten sie auf hohem Niveau konversieren können, es kam ein Lehrer zu ihnen, der sie in Musik, Kunstgeschichte, Sprachen und ein wenig Mathematik unterrichtete; böse Zungen sagen, Madame Claudes Mädchen haben es in drei Sprachen gemacht.
Und dass die Prinzessin verheiratet ist. Vor einigen Jahren hat sie einen Arzt geheiratet, und als ihre Freunde sie nach der Hochzeit fragten, wie der Mann sei, überhaupt wie es gehe, da fragte sie ungeduldig zurück, und zwar wortwörtlich: Welcher Mann? Sie hatte buchstäblich ihren Mann vergessen. Der angeblich hier in der Nähe wohnt, doch natürlich fragt keiner mehr nach.
Anstatt eines Grußes fragt die Prinzessin Esti beim Abschied, ob er sich die
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