Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
neugierig gefolgt, um danach sie selbst im Eingang der Höhle anzustarren.
Als Lenno so nah vor ihr stehen blieb, dass sie seinen wilden Herzschlag wahrzunehmen glaubte, hob er seine Hand, um ihr Gesicht zu berühren. Er zögerte jedoch, legte sie stattdessen auf ihren Arm, ließ sie bis zu ihren Fingern hinuntergleiten und umschloss sie sanft. Wie gerne hätte Olivia ihn in diesem Augenblick umarmt und geküsst. Seine Augen und seine gesamte Körperhaltung verrieten ihr, dass es ihm genauso erging und er sich schwer zusammenreißen musste, es unter den erwartungsvollen Blicken seines Volkes nicht zu tun. Offenbar war es in diesem Moment nicht angemessen, sich irgendwelchen Zärtlichkeiten hinzugeben.
Zuhause wäre es Olivia nicht schwergefallen, sich solchen Situationen zu widersetzen und ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Hier in Tenya Nahele wollte sie jedoch keinen Fehler machen, der sein Volk und vor allem seine Mutter weiter erboste und ihren Aufenthalt erschwerte. Olivia war sich sicher, dass auch Winema Pavati in diesem Moment die beiden scharf im Auge behielt.
Trotzdem war der Wunsch, Lenno zu berühren, doch so stark, dass sie es sich nicht nehmen ließ, ihre freie Hand ebenfalls in seine zu schieben, um ihm dadurch ein wenig näher zu sein. Dabei schauten sie sich einander fest in die Augen und konnten im Blick des jeweils anderen lesen, wie unerträglich es für sie war, nicht das tun zu können, wonach ihnen gerade war.
„Komm, ich bringe dich kurz zu meiner Familie und danach zeige ich dir den Wald“, flüsterte Lenno und das für ihn typische, abenteuerlustige Funkeln flackerte in seinen Augen auf.
Hand in Hand führte er sie über die Lichtung zu der Stelle, an der er zuvor gesessen hatte. Immer wieder betrachtete er Olivia von der Seite und lachte sie an, wenn sie zurückschaute. Lenno schien wahnsinnig glücklich zu sein, dass sie bei ihm war und an seinem Leben teilnahm.
Als sie jedoch bei Winema Pavati ankamen, nagten sogleich wieder die Zweifel des Vortages an ihr. Dort empfing sie nichts anderes als diese Eiseskälte in den Augen einer Frau, die für Olivia kaum mehr als Geringschätzung übrig hatte. Erst als Lenno sich direkt an seine Mutter richtete, um ihr seine Auserwählte vorzustellen, brachte sie es fertig, Freundlichkeit zu heucheln. Obwohl Winema sie nett begrüßte und sich sogar erfreut über ihre Ankunft äußerte, spürte Olivia mit jeder Faser ihres Körpers die Ablehnung, die Lennos Mutter ausstrahlte. Sie wussten beide, dass Winema sich nur so verhielt, damit ihr Sohn keinen Verdacht schöpfte. Verunsichert spielte Olivia das falsche Spiel mit, doch insgeheim wuchs eine Furcht in ihr, wie sie sie noch nie in ihrem Leben gespürt hatte.
Lenno bekam von diesen unterschwelligen Botschaften, die Winema Olivia sendete, nichts mit. Und selbst wenn er dafür offen gewesen wäre, hätte er sie bestimmt nicht wahrhaben wollen.
Mit einem seltsamen Gefühl im Magen saß Olivia mit Lenno, seiner Mutter und Nova Nituna zusammen, als Wenona sich nach einer Weile zu ihnen gesellte und sie zur Begrüßung herzlich in ihre Arme schloss. Doch selbst nach dieser intensiven Zeit, in der eine tiefe Vertrautheit zwischen ihnen beiden entstanden war, empfand Olivia diese Geste unter den Augen Winemas als Regelverstoß.
Auch wenn Wenona dies vielleicht spürte, sie ging darüber hinweg, strich eine Strähne aus Olivias Gesicht und lächelte sie offen an. Ein kurzer Seitenblick zu Lenno verriet Olivia, dass er die beiden beobachtet hatte. Er schaute vor sich auf den Boden und schmunzelte, denn es schien ihm zu gefallen, dass sie sich so gut mit seiner Schwester verstand. Erneut schöpfte sie Mut und schenke ihrer neuen Vertrauten ebenfalls ein dankbares Lächeln.
Vielleicht sollte ich mich mehr auf die Menschen konzentrieren, die sich darüber freuen, dass ich hier bin, schoss es Olivia durch den Kopf. Währenddessen beobachtete sie, wie Lennos ältere Schwester sich entfernte, um kurz darauf mit etwas Essbarem wieder aufzutauchen.
Auch wenn sie versuchte, sich an den positiven Dingen in ihrer Umgebung zu orientieren, in Winemas Anwesenheit bekam Olivia kaum etwas von der Mahlzeit hinunter, die Wenona ihr gebracht hatte. Appetitlos knabberte sie an einem Stück Maisbrot herum.
Nach einer Weile verabschiedete sich Wenona von ihnen und ging zu ihrer eigenen Familie zurück. Danach waren es Lenno und seine Schwester Nova, die sich hauptsächlich unterhielten. Olivia vermied es zwar zu
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