Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
mit Lenno in dieser Welt zu sein. Sie musste sich nur kurz das Gegenteil vorstellen, um sich ganz sicher zu sein. Stillschweigend verziehen sie sich. Als Olivia sagte: „Entschuldige, ich wollte nicht …“, wurde sie dadurch unterbrochen, dass Lenno entgegnete: „Es tut mir leid. Ich …“ Erleichtert legte sie ihre Hände auf seine Arme und schmiegte sich schmunzelnd in seine Umarmung. Sie hörte ihn leise lachen, bevor er sagte: „Es liegen harte Tage hinter dir, und für mich ist es ebenfalls etwas vollkommen Neues, dass wir zusammen hier in Etenya sind. Auch ich muss erst lernen, mit dieser Situation umzugehen.“
Er hatte recht. Auch seine Position war nicht gerade unkompliziert und er riskierte eine Menge, um Olivias Schutz vor Nukpana aufrechtzuerhalten. Sie hatte den Eindruck, als stünde er zwischen mehreren Fronten. Offenbar konnte er nicht immer so reagieren, wie er es für richtig hielt oder es sein Herz ihm sagte. Das zehrte zusätzlich an ihm und machte auch für ihn die Situation nicht unbedingt leichter. Nichtsdestotrotz tat er alles dafür, dass sie sich bei ihm wohlfühlte und fürs Erste sicher war. Davon war Olivia überzeugt.
Langsam löste sie sich ein Stück weit aus seiner Umarmung und drehte sich darin zu ihm um. Nachdenklich nickte sie, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie der gleichen Meinung war wie er.
Lenno beugte sich vorsichtig zu ihr hinunter, um sie zu küssen, hielt aber nur einen Hauch von ihren Lippen entfernt inne und zögerte. In seinem Gesicht spiegelte sich seine Verunsicherung wider, die ihr Streit offensichtlich auch bei ihm hervorgerufen hatte. Olivias Wut verblasste augenblicklich und nun zog sie ihn lachend das letzte Stück zu sich hinunter, um das zu vollenden, was er begonnen hatte.
„Komm, ich will dir etwas zeigen“, flüsterte Lenno kaum, dass sich ihre Lippen voneinander gelöst hatten.
***
Die Notwendigkeit, die Gründe mancher Konflikte in ihrer Tiefe genauer zu betrachten, anstatt sie einfach beiseitezuschieben, sollte ihnen allerdings erst sehr viel später bewusst werden.
***
Lenno packte Olivias Hand, drehte sich um und zog sie zielsicher in das satte, grüne Dickicht des Waldes. Lachend vor Erleichterung folgte sie ihm, und auch er schien keinen Gedanken mehr an ihren Streit verschwenden zu wollen.
Sie marschierten über dichtbewachsene Pfade und umgefallene Baumstämme und kletterten schließlich einen kleinen, felsigen Hügel hinauf. Oben angekommen hörte Olivia plötzlich ein Wasserrauschen, das sie nicht gleich zuordnen konnte. Ein kurzer Seitenblick zu Lenno genügte, um zu wissen, dass genau dort, wo das Geräusch herkam, ihr Ziel lag. Die Vorfreude auf das, was sie erwartete, blitzte in seinen Augen auf und er sah sie bedeutungsvoll an, ohne zu verraten, was er mit ihr vorhatte. Als sie die Kuppe des Hügels erklommen hatten, raubte der Anblick, der sich ihr bot, Olivia fast den Atem.
Noch höheren Felsen, die sie wild bewachsen zu umzingeln schienen, ragten überall zum Himmel empor. Direkt unter ihnen war ein kleiner See, dessen kristallklares Wasser sie von der Anhöhe aus sogar die Gesteinsbrocken auf seinem Grund erkennen ließ. Wie gebannt stand Olivia da und sog alles in sich auf. Auf der anderen Seite des Sees entdeckte sie einen seichten Wasserfall, der längs der breiten Kante des Felsens einem seidenen Vorhang gleich in die Tiefe stürzte. Das Gestein hinter dem Wasserfall schien von Moos bewachsen zu sein und schimmerte in einem satten Grün hervor. Über die Felskante wucherten ebenfalls ausladende Schlingpflanzen, an denen kleine, rote Blüten sprossen, die den Wasserfall malerisch einrahmten. Hier und da schaute der blanke Fels hervor und einige verirrte Rinnsale derselben Quelle suchten auch dort über die treppenstufig angeordneten Steinbrocken ihren Weg hinab in den See.
Dieser Anblick nahm Olivia derart ein, dass sie sogar für einen Moment vergaß, dass Lenno neben ihr stand. Erst als er ihre Wange küsste und „Komm mit!“ in ihr Ohr hauchte, bemerkte sie ihn wieder und folgte ihm auf der anderen Seite den Hang hinunter.
„Hast du Lust, eine Runde zu schwimmen?“
Seine Worte träufelten nur träge in ihr Bewusstsein, und bevor Olivia begriff, was er sie gefragt hatte, war Lenno bereits entkleidet, lief zum See und sprang kopfüber von einem flachen Stein aus ins Wasser.
Das Einzige, was sich an Olivia weiterhin bewegte, waren ihre Lider, die nervös auf- und zuflatterten, weil sie ihren Augen nicht
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