Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
Winema zu schauen, doch deren eisiger Blick grub sich in ihr Gesicht und beobachtete jede ihrer Reaktionen. Das spürte sie, auch ohne hinzusehen.
Die beiden Geschwister debattierten darüber, wie sinnvoll es war, ebenfalls Frauen zum Kampf auszubilden und mit in die Verteidigungsgruppen zu integrieren. Olivia hörte ihnen interessiert zu, und es schien nicht das erste Mal zu sein, dass die beiden über dieses Thema stritten.
„Was sollte es für einen Vorteil haben, Frauen zu Kämpfern zu machen, Nova? Sie sind viel schwächer als Männer“, sagte Lenno irgendwann herausfordernd, und man sah ihm an, dass er genau wusste, wie seine kleine Schwester nun reagieren würde.
„Soll ich dir etwa schon wieder beweisen, dass ich stärker bin als du, Tocho?“, funkelte Nova ihren Bruder wütend an und erhob sich andeutungsweise. Aber Lenno lachte nur, zog eine Augenbraue hoch und entgegnete ihr: „Oh nein, lieber nicht! Das letzte Mal hast du so bitterlich geweint.“
Nova sprang daraufhin fauchend auf, um sich ihren Bruder zu schnappen. Der war allerdings bereits auf den Beinen und rannte mit seiner wütenden Schwester auf den Fersen lachend Richtung Wald davon.
Von einem Augenblick zum anderen saß Olivia mit Winema Pavati allein da und musste deren abschätzigen, kalten Blick stumm ertragen. Es fiel ihr verdammt schwer, mit dieser Situation angemessen umzugehen. Ihr Herz raste und sie fühlte, wie sich ihre Augen mit heißen Tränen zu füllen drohten. Sie selbst bohrte ihren Blick in das Stück Brot, das sie in ihren Händen im Schoß hielt.
Wie sie es hasste, in so eine Lage gebracht zu werden!
Noch bevor Winema dazu kam, Olivia weitere boshafte Drohungen zuzuraunen, waren die beiden wieder zurück und lachten ausgelassen.
„Yuma hat sofort aufgegeben“, triumphierte Nova grinsend, fügte aber hinzu: „Angeblich wollte er lieber mit dir die Zeit verbringen.“
Sie berührte Olivias Schulter, während sie an ihr vorbeiging und sich neben ihr auf den Boden plumpsen ließ. Olivia beobachtete Nova überrascht dabei und blickte dann zu Lenno, der ihr bereits seine Hand strahlend entgegenhielt. Dankbar griff sie danach und er zog sie zu sich hoch.
Als sie die Lichtung gemeinsam verließen, ließ er sie nicht los, und der Blick seiner Mutter schien sich in ihren Rücken einbrennen zu wollen.
Schweigend gingen sie eine Weile durch den Wald. Beeindruckt schaute Olivia sich alles an und fühlte sich neben diesen riesigen Bäumen furchtbar winzig. Ihre Blätter bewegten sich in dem leichten Wind und ließen die Sonnenstrahlen immerzu an anderen Stellen durchscheinen. Mit dem Kopf im Nacken lächelte sie in den Himmel, der durch dieses Spiel von Licht und Schatten zu glitzern schien. Sie blieb fasziniert stehen, um dieses Schauspiel eine Weile zu beobachten. Dabei schloss sie die Augen und spürte der warmen Brise nach, die über ihr Gesicht und durch ihre Haare wehte.
Lenno hatte recht behalten. Damals, während des Spaziergangs nach dem Auftritt, hatte er gesagt, es würde ihr gefallen. Und das tat es. Hundertprozentig! Ebenso wie dieser Duft nach feuchter Erde, Blättern und verschiedenen Blumen. Einmal meinte Olivia sogar denselben Duft wiederzuerkennen, den sie bei ihrer Markierung wahrgenommen hatte.
Der Boden war mit weichem Moos bedeckt und sie liebte dieses Gefühl an ihren Füßen, wenn sie barfuß darüberging. Hunderte von Insekten zirpten gleichzeitig ihr Lied und bildeten damit einen permanenten Grundton. Darüber war hier ein einzelnes Vogelgezwitscher, dort der Ruf eines Tieres zu hören, das in fast regelmäßigen Abständen immer wieder den gleichen kurzen, hohen Ton von sich gab, als spielte es eine Flöte in diesem Konzert.
Irgendwoher aus der Ferne ertönte plötzlich ein Brüllen. Sogleich riss Olivia die Augen entsetzt auf und drückte verängstigt Lennos Hand.
„Du fühlst dich nicht besonders wohl hier, oder?“, fragte er unerwartet, und sie schüttelte irritiert ihren Kopf.
„Ich weiß nicht genau. Es ist alles sehr neu“, antwortete sie vorsichtig, „und verwirrend.“
Lenno nickte verständnisvoll.
Sollte sie ihm von Winemas Besuch erzählen? Warum nicht?
Sie hatte sich noch nicht ganz entschieden, da platzte es auch schon aus ihr heraus: „Außerdem habe ich das Gefühl, dass deine Mutter mich nicht mag.“
Verblüfft schaute er sie an und fragte zweifelnd: „Wie kommst du denn auf so etwas?“
Olivia spürte anhand seiner Reaktion, dass dieses Thema nicht einfach
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