Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
Geringschätzigkeit an. Olivia war kurz davor, etwas zu ihrer oder zumindest zu Lennos Verteidigung zu sagen, doch schluckte sie ihre Worte lieber hinunter, auch wenn sie fast daran erstickte. Allein ihre pure Anwesenheit schien seine Mutter bereits in hohem Maße gegen ihn aufgebracht zu haben, sodass sie es nicht verschlimmern wollte.
Winema Pavati war genauso groß wie Olivia. Sie standen sich Auge in Auge gegenüber, als Lennos Mutter einen Schritt auf sie zu machte und ihren Kopf drohend ein wenig in ihre Richtung neigte.
„Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist! Solange du kannst“, warnte sie Olivia mit ihrem stechenden, eisblauen Blick und ließ ihre Worte einige Sekunden stillschweigend wirken. Danach marschierte Winema Pavati schnurstracks an ihr vorbei, trat dabei achtlos die Wasserschüssel um und verschwand hinter dem Vorhang.
Olivia fühlte sich, als wäre sie von einer Herde wildgewordener Büffel überrannt worden und blieb für einen Augenblick fassungslos mitten im Raum stehen. Wieder einmal schienen sich die Höhlenwände auf sie zuzubewegen und ihr den Atem rauben zu wollen. Mit aufgerissenen Augen senkte sie langsam ihren Blick zu der Wasserlache, in deren Mitte der nasse Papierklumpen lag.
Alle Zweifel daran, das Richtige getan zu haben, die Lenno gerade komplett zerstreut hatte, formten sich zu einem immer dichter werdenden Gewebe, das Olivia wie ein eisiger Mantel einhüllte und ihr die Kehle zuschnürte.
Tenya Nahele – Der wertvolle Wald
Diese Nacht war durchtränkt von schrecklichen Albträumen, die sich wie dunkle Schatten auf Olivias Brust setzten und ihr die Luft zum Atmen nahmen. Sie wachte immer wieder mit dem beklemmenden Gefühl auf, dass ihr jemand die Kehle zudrückte, und weinte sich mit dem Gedanken, in dieser Welt nicht besonders erwünscht zu sein, in den nächsten unruhigen Schlaf.
Wenona war nach dem Besuch ihrer Mutter zu ihr zurückgekommen und war wie immer über Nacht geblieben. Nachdem sie mehrmals von Olivias Atemnot wachgeworden war, kam sie zu ihr, tupfte ihr das Gesicht mit einem kühlen Tuch ab und redete beruhigend auf sie ein. „Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber, was meine Mutter zu dir gesagt hat.“
Olivia sah sie fragend an.
„Ich stand draußen und habe alles mit angehört“, antwortete Wenona mit schuldbewusstem Gesicht. Sanft legte sie ihre Hand auf Olivias Wange und betrachtete sie sorgenvoll. „Winema ist eine starrköpfige Frau und kommt mit neuen Situationen nicht gut klar. Sie ist sehr traditionell eingestellt und versteht nicht, warum Yuma sich nicht eine Gefährtin aus unserer Gemeinschaft auswählt. Sie hatte bereits zwei oder drei für ihn im Auge.“
Offenbar wollte sie Olivia mit ihren Worten beschwichtigen, denn sie lachte ein wenig und verdrehte ihre Augen, während sie sprach. Dankbar für diese Geste versuchte auch Olivia sich ein Lächeln abzuringen, doch es wollte ihr nicht ganz gelingen.
„In unserer kleinen Gemeinschaft ist sie die Anführerin und tut alles, um ihre Leute zu beschützen. Sie beabsichtigte nur einen Eindringling zu verscheuchen, indem sie ihn anknurrte.“ Wenona presste die Lippen zusammen, dachte kurz nach und fügte schließlich hinzu: „Sie müsste ihren Yuma nur einmal mit seiner Satinka erleben und sie würde euch sofort verstehen und in Ruhe lassen. Winema ist seine Mutter und wünscht sich im Grunde ihres Herzens alles Glück der Welt für ihn.“ Sie lächelte Olivia aufmunternd an und strich ihr liebevoll über die Haare, bevor sich beide wieder hinlegten, um weiterzuschlafen. Und tatsächlich beruhigten diese Worte Olivias aufgewühlte Seele ein wenig und ließen sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf gleiten, der bis zum nächsten Tag nicht mehr unterbrochen wurde.
Nach dem Aufwachen fühlte sich Olivia wie gerädert. Sie schaute sich irritiert im Raum um, konnte Wenona aber nirgends entdecken. Seit ihrer Ankunft in Etenya war es bisher nie vorgekommen, dass sie unvorhergesehen allein war. Verunsichert überlegte sie, ob bereits die Zeit angebrochen war, die Wenona immer bei ihren Töchtern verbrachte, und krabbelte aus den Fellen. Zu ihrer Freude entdeckte sie eine Schüssel mit Wasser und frische Kleidung, die Lennos Schwester ihr offenbar hingestellt hatte, bevor sie gegangen war. Vielleicht hatte Olivia wirklich den gesamten Tag verschlafen.
Schnell machte sie sich daran, sich zu waschen und umzuziehen, um dann auf Wenonas Rückkehr zu warten. Als aber nach einer gefühlten
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