Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
nach der anderen, wobei sie Wenona besonders fest in die Arme schloss.
Lennos Mutter ließ sich zum Abschied nicht blicken, und offen gestanden, kam Olivia das nur allzu gelegen.
Als sie aus der Höhle trat, kicherten neben dem Eingang einige Mädchen, als sie ihre Kleidung betrachteten. Olivia schenkte diesen nur ein breites Grinsen, was die Mädchen wieder zum Kichern animierte. Lenno stand fast am anderen Ende der Lichtung und unterhielt sich mit der Gruppe von Männern, mit der Olivia ihn zwei Tage zuvor bereits gesehen hatte. Auch jetzt verstummte das Gespräch wie beim ersten Mal, sobald Olivia näher kam. Sie hätte schwören können, dass erneut der goldene Schimmer durch Lennos Augen huschte, als er sie erblickte. Offensichtlich fiel es ihm schwer, seine wahren Gefühle zu verbergen. Die Anderen schienen derart irritiert von ihrem Aufzug zu sein, dass sie Lennos Reaktion gar nicht bemerkten. Zur Begrüßung nickte sie allen zu, doch keiner der Männer war in der Lage zurückzugrüßen. Offenbar war in ihrem Volk wirklich bisher keine Frau auf die Idee gekommen, eine Hose anzuziehen. Bei diesen Blicken war das aber auch irgendwie kein Wunder.
Verunsichert schaute sie zu Lenno, der zunächst leise lachte und danach mit dem Daumen Richtung Pfad zeigte. „Willst du schon mal ein Stück vorgehen? Ich brauche noch einen Moment, dann komme ich nach.“
Dankbar für diese Idee nickte Olivia erleichtert und ging in den Wald vor. Sie entfernte sich nur so weit, dass sie außer Sichtweite war.
An einen Baum gelehnt, wartete sie auf Lenno. Es war sehr früh am Morgen und der Nebel durchzog den Wald. Er ließ kaum das Sonnenlicht durch, sodass dort eine milchig trübe, wenn nicht sogar gespenstische Atmosphäre herrschte, die Olivia so bis dahin nicht kennengelernt hatte. Als sich plötzlich irgendwo ein donnerndes Geräusch aus dem gewohnt gewordenen Grundton des Waldes herauskristallisierte, zuckte sie innerlich zusammen. Sie fragte sich ernsthaft, ob es wirklich eine gute Idee war, mit Lenno in diese Wildnis zu marschieren. Zum Glück kam er genau in diesem Moment und hellte ihre trüben Gedanken mit seinem Lachen wieder auf. Ohne ein Wort zu sagen, küsste er sie so überwältigend gefühlvoll, dass sie für einen Augenblick glatt vergaß, wo sie war. Danach trat er einen Schritt zurück, ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten und räumte dann grinsend ein: „Gefällt mir! Steht dir gut.“ Und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: „Na ja, vielleicht ein wenig gewagt für meine Welt!“
Olivia lachte und gab zu: „Das hat Wenona auch gesagt.“
„Siehst du“, sah sich Lenno bestätigt.
„Aber Nova fand es richtig gut“, trumpfte sie auf.
„Kein Wunder“, lachte Lenno.
Tenya Nahele war durchzogen von Hügeln und Bergen mit dicht bewachsenen Hängen, an denen sie nicht nur mit dem Anstieg zu kämpfen hatten, sondern ebenfalls mit umgestürzten Bäumen, riesigen, dicht beieinander wachsenden Farnen und mit Schlingpflanzen oder Sträuchern, die Stolperfallen bildeten.
Der Marsch war für Olivia äußerst beschwerlich, denn sie war es nicht gewohnt, sich auf so einem Terrain zu bewegen und das barfuß. Oft stolperte sie und holte sich Schürf- oder Kratzwunden an Ästen und Felsen.
Lenno sah sie immer wieder besorgt an, verarztete sie mit Salben und Verbänden, die er vorsorglich mitgenommen hatte, und fragte wiederholt: „Kannst du noch, oder sollen wir eine Pause machen?“ Sie schüttelte wie jedes Mal den Kopf, biss die Zähne zusammen und wollte nicht so zimperlich erscheinen, wie sie in Wirklichkeit vielleicht war, denn sie genoss es trotz allem.
Die Landschaft war so einzigartig schön. Sie war vollkommen mit Pflanzen bewachsen, die Olivia größtenteils unbekannt waren. Zudem war die Vielfalt an Schmetterlingen und Vögeln in verschiedenen Größen und Farben einfach überwältigend. Zu jedem Tier und jeder Pflanze, die ihr besonders auffielen, konnte Lenno etwas erzählen, und Olivia war mächtig beeindruckt.
Das Faszinierendste für sie blieb aber nach wie vor, dass sich die Landschaft ständig veränderte. Hinter jedem Felsen, jeder Anhöhe wartete eine Überraschung. Mal waren es einzelne, bizarr gewachsene Bäume, mal ein Wasserfall oder ein See, ein reißender Fluss oder Ausblicke auf eine Wildnis, die so atemberaubend war, dass Olivia oft vor Aufregung die Luft wegblieb. Alles war überwuchert mit satten, prallen Pflanzen. Riesige Bäume standen neben Palmen mit
Weitere Kostenlose Bücher