Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
zurückzulaufen.
Sven kam zur Tür herein und nahm Olivia ohne Vorankündigung einfach in den Arm und drückte sie eine kleine Ewigkeit. Jedenfalls kam es ihr so vor. Seine Reaktion ging Olivia unter die Haut, denn es war sehr untypisch für ihn, ihr gegenüber so emotional zu sein. Deshalb ließ sie es geduldig geschehen, auch wenn er sie so ungeschickt festhielt, dass es ihr nicht gelang, ihn ebenfalls zu umarmen.
Nach einer Weile wurde es ihr jedoch zu ungemütlich und sie fing an zu knurren.
„Mann, muss ich dir gefehlt haben“, bemerkte sie trocken.
Sven strahlte sie an und drückte ihr einen dicken Kuss auf die Wange.
Jetzt wurde es Olivia aber zu viel! Sie befreite sich strampelnd aus seiner Umarmung und rief: „Igitt, spinnst du? Was ist denn mit dir los?“
Er fing an zu lachen und sagte vieldeutig: „Jetzt wirst du mich nicht mehr los!“
„Was?“, fragte sie verständnislos.
„Ich darf dich ab heute so viel küssen und drücken, wie ich will“, fuhr er fort und sie schaute ihn entgeistert an. Dabei vermutete sie schon fast, dass ihm die Seeluft zu Kopf gestiegen war.
„Weißt du, warum wir ohne dich zum Segeln gefahren sind?“, fragte Sven.
Sie schüttelte den Kopf. „Klär mich auf.“
Olivia versuchte sich zu wappnen, aber mit der Antwort, die folgte, hatte sie wirklich nicht rechnen können.
„Dietmar wollte mir unter vier Augen mitteilen, dass ich sein leiblicher Sohn bin.“
Das saß! Ihr Gesicht erstarrte.
„Meine Mutter und dein, ach, unser Vater hatten schon einmal etwas miteinander, bevor er Nora kennengelernt hat. Stella wusste erst, dass sie mit mir schwanger war, als Dietmar schon fast mit deiner Mutter verheiratet war. Außerdem hatte sie nebenbei einen weiteren Freund. Deshalb war nie wirklich klar, wer von den beiden mein Vater ist. Tja, Süße, doch der Test hat‘s bewiesen. Jetzt hast du einen waschechten Bruder vor dir stehen!“
Er machte ein zufriedenes Gesicht, nahm Olivia wieder in den Arm und hob sie hoch. Sie selbst war sich dabei nicht sicher, ob sie lachen oder weinen sollte und brauchte definitiv etwas Zeit, um dieses neue Familiengeheimnis zu verdauen.
Die nächsten Tage bei ihrem Vater waren für Olivia unerträglich. Es war schwierig für sie, das neue Familienglück mit anzusehen. Sie spielte zwar die erfreute Halbschwester, Tochter und Stieftochter, doch niemand schien zu begreifen, dass in dieser Konstellation Olivia nun nicht mehr hierhergehörte. Sie war jetzt der Eindringling in dieser Familie. Solange Sven mit ihr das gleiche Schicksal geteilt hatte - er hatte seine Mutter, sie ihren Vater – konnte das funktionieren. Durch die neue Situation änderte sich dieses Verhältnis jedoch drastisch und Olivia fühlte sich seltsam ausgegrenzt.
Mit Sven konnte sie nicht darüber reden. Er war total aus dem Häuschen, endlich einen Vater zu haben, und sie wollte ihn nicht mit ihren Problemen belasten. Mit Dietmar oder womöglich mit Stella wollte sie keinesfalls sprechen.
Da sie ihr eigenes Zimmer hatte, zog sie sich zurück, sobald es ihr zu viel wurde, und verarbeitete ihren gesamten Frust in unzähligen Mails an Tatjana. Ihre Freundin baute sie immer wieder auf und versuchte die schönen Dinge an der Situation hervorzuheben. Darüber hinaus war Tatjana die Einzige, der sie anvertrauen konnte, wie sehr Lenno ihr fehlte.
Ihr Leben war das reinste Chaos.
Nicht genug, dass sie mit dem Menschen, in den sie verliebt war, nicht zusammen sein durfte. Nun hatte sich ihr Fast-Bruder in einen Doch-Bruder verwandelt, der mit ihr die letzten siebzehn Jahre nachholen wollte.
Wie sollte Olivia das nur aushalten?
Der Auftritt
Lenno war verschwunden. Egal, wie lange Olivia auch auf ihrer alten Schaukel im Garten saß und das Nachbargrundstück beobachtete, das Haus wirkte stets düster und verlassen. Es schien fast so, als wolle es ihr einen Spiegel vorhalten, denn auch in ihr sah es nicht viel anders aus.
Ständig dachte sie an ihn und jede Kleinigkeit rief Erinnerungen an ihn wach. Das Zusammensein mit Lenno hatte Olivia eine neue Seite an ihr gezeigt, die sie bisher nicht gekannt hatte. Es war normalerweise nicht ihre Art, jemandem innerhalb so kurzer Zeit derart nahezukommen. Doch jetzt hatte sie es zugelassen und es tat verdammt weh, dass Lenno unerreichbar für sie war.
„Nach einer Weile wird es besser, dann tut es nicht mehr so weh“, hatte Tatjana behauptet, aber Olivia glaubte nicht daran.
In ihrem gesamten bisherigen Leben hatte sie niemals
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