Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
globalisierte Wirtschaft muss hohe Umweltstandards als verpflichtend anerkennen. Diese müssen auch ärmeren Ländern – durch finanzielle Unterstützung – ermöglicht werden. Sich dieser Verantwortung zu stellen, ergibt sich für die reichen Länder daraus, wie sie zuvor ihr Zivilisationsmodell praktiziert und exportiert haben. Es ist für hoch entwickelte Länder möglich, eine Energieversorgung zu erreichen, die sich mit der Bewahrung der Natur vereinbaren lässt. Wenn die besten Kräfte dafür eingesetzt werden und die Bereitschaft wächst, über die eigenen Interessen hinaus das Ganze in den Blick zu nehmen, lässt sich tatsächlich von einer Energiewende sprechen.
19. Alter
Was heißt «Vater und Mutter ehren»?
In einem bewegenden Buch beschreibt Arno Geiger, wie er gemeinsam mit seinen Geschwistern den an Demenz erkrankten Vater begleitet. Besonders kritisch blickt er auf die Zeit, in der die Kinder sich weigerten, die Krankheit des Vaters anzuerkennen: «Wir schimpften mit der Person und meinten die Krankheit.» Erst als sie sich darauf einstellen, dass ihr Vater Gedächtnis und Orientierungssinn weitgehend verloren hat, finden sie die Kraft, ihm beizustehen. «Die Einsicht in den wahren Sachverhalt bedeutete für alle eine Erleichterung.… Nur die Einsicht, dass wir viel zu viel Zeit damit vergeudet hatten, gegen ein Phantom anzukämpfen, war bitter.» (Geiger 2011: 7. 25) Abwechselnd nehmen sie sich Zeit dafür, die Last des Alters mit ihrem Vater zu tragen; nun erst können sie auch heitere Situationen und den unerwarteten Sprachwitz des Kranken wahrnehmen.
Vergleichbare Erfahrungen machen heute viele Menschen. Meine Frau hat auf die letzten Berufsjahre vor der Pensionierung verzichtet, um ihre alt gewordene Mutter zu begleiten (Kara Huber 2011). Eine südafrikanische Freundin, die in Kanada lebt, muss ihr Leben so einrichten, dass sie einige Monate im Jahr in Südafrika sein und ihre Mutter betreuen kann; sie teilt sich diese Aufgabe mit ihren beiden Schwestern. Gibt es eine ethische Pflicht dazu, den eigenen Lebensplan auf die Pflegebedürftigkeit alt gewordener Angehöriger einzurichten?
Was bedeutet das vierte Gebot heute?
Die zehn Gebote enthalten einen wichtigen Hinweis zur Sorge um die Angehörigen. Das vierte Gebot heißt: «Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.» (2. Mose 20,12) Der Wortlaut des Gebots knüpft an die Situation an, in der die Gebote nach dem biblischen Bericht dem Volk Israel gegeben wurden: am Berg Sinai, in der Zeit der Wüstenwanderung auf dem Weg in das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen sollen. Die zukünftige Existenz in diesem verheißenen Land wird an die Voraussetzung gebunden, Vater und Mutter zu ehren.
Eine nach wie vor verbreitete Deutung sagt, damit sei der Gehorsam heranwachsender Kinder gegenüber ihren Erziehungsberechtigten gemeint. Beispielhaft ist Martin Luthers Auslegung dieses Gebots, in dem er das «große, gute und heilige Werk» dargestellt sieht, das den Kindern auferlegt sei (Evangelische Bekenntnisse 2, 2008: 59). Den kindlichen Gehorsam gegenüber den Eltern setzt er dabei in Parallele zu dem Gehorsam gegenüber der Obrigkeit: «Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben.» (Evangelische Bekenntnisse 2, 2008: 17)
Doch der Dekalog ist ursprünglich nicht für den Konfirmandenunterricht geschrieben; er richtet sich nicht an Kinder oder Jugendliche, sondern an erwachsene Israeliten. Das Thema des vierten Gebots ist das Verhalten Erwachsener gegenüber der alt gewordenen Elterngeneration. Die Verpflichtungen der mittleren Generation stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie trägt die Verantwortung für das Aufwachsen der Kinder und hat zugleich eine besondere Verantwortung für die Lebensbedingungen der älteren Generation. Der Auftrag des vierten Gebots, die Eltern zu ehren, lässt sich gemäß der Grundbedeutung des entsprechenden hebräischen Worts am besten als Aufforderung fassen, sie «als gewichtig anzuerkennen» (Köckert 2007: 73). Es geht nicht um bloße Worte, auch nicht um einmalige Ehrbezeugungen. Der Respekt, der den Eltern gebührt, schließt nicht nur die Nachsicht gegenüber ihrer nachlassenden Leistungsfähigkeit, sondern auch die Bereitschaft ein, sie zu unterstützen: «Kind, unterstütze
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