Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Schulden, die sich aus den Krediten der Vergangenheit ergeben. Die Altersversorgung, die die ältere Generation sich selbst gesetzlich gesichert hat, mindert den Lebensstandard der jüngeren Generation auf unabsehbare Zeit. Die Jüngeren können nicht damit rechnen, dass sie selbst in ihrer Berufsbiographie einen ähnlichen Zuwachs an Lebensstandard erleben werden wie die vorangehende Generation. Obwohl sie häufig von einem höheren Wohlstandsniveau ausgehen können als die Elterngeneration in der entsprechenden Lebensphase, empfinden sie die veränderte Situation als einen Verlust an Zukunftsperspektiven. Ob Berufstätige künftigeVersorgungseinbußen durch einen höheren Anteil an Eigenvorsorge kompensieren können, hängt davon ab, ob ihr verbleibendes Arbeitseinkommen angesichts steigender Sozialabgaben überhaupt die Möglichkeit zur privaten Vorsorge eröffnet. Die wachsende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen verschärft dieses Problem.
Der Alterswandel, der gerade aus der Perspektive wohlhabender Industrieländer beschrieben wurde, ist in das Wachstum der Weltbevölkerung einzuordnen. In globaler Perspektive erhöht sich keineswegs nur die Zahl der Jüngeren, sondern eine höhere durchschnittliche Lebenserwartung wirkt sich auch in Schwellenländern und im Armutsgürtel der Erde in einer Zunahme Älterer aus. Im Jahr 2050 wird allein in China die Zahl der Menschen über 65 Jahre größer sein als ein halbes Jahrhundert vorher auf der ganzen Welt. Die Sicherung eines Mindestmaßes von gesellschaftlicher Solidarität kommt unter solchen Bedingungen einer Herkulesaufgabe gleich. Wer zur Resignation neigt, wird von einer Katastrophe sprechen und mit dem Ethnologen Claude Lévi-Strauss sagen: «Im Vergleich zur demographischen Katastrophe ist der Zusammenbruch des Kommunismus unwichtig» (zitiert bei Schirrmacher 2004: 19). Wer vor dieser Aufgabe nicht kapitulieren will, muss große Anstrengungen darauf verwenden, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu gestalten. Nur eine vorausschauende Sozial- und Wirtschaftspolitik wird dieser Aufgabe gewachsen sein; auch unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung, die den nachwachsenden Generationen im demographischen Wandel zufällt, sind gute Bildungsangebote und faire Teilhabechancen für diese Generationen von zentraler Bedeutung (vgl. Kapitel 6).
Noch so gut überlegte Rentenformeln und ergänzende Versorgungsleistungen («Riester-Rente») allein werden dieses Problem weder für wohlhabende Länder noch für die Weltgesellschaft lösen können. So notwendig die Anstrengung ist, die Solidarsysteme zukunftsfähig zu gestalten, so wichtig ist es zugleich, Ältere nicht nur als Versorgungsempfänger zu betrachten, sondern darauf zu achten, was sie selbst zur Gestaltung des eigenen Lebens und zum Zusammenleben der Gesellschaft beitragen können.
Die Kreativität des Alters
Das Alter wird heute häufig unter dem Gesichtspunkt betrachtet, dass sich in dieser Lebensphase die Verletzlichkeit des Menschen besonders sichtbar zeigt (siehe Kapitel 9). Die Einschränkungen und Defizite des Alters treten deshalb – insbesondere am Beispiel der Demenzerkrankungen – ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Das ist jedoch eine einseitige Sicht, denn mit der höheren Lebenserwartung verbindet sich auch ein besserer Gesundheitszustand der Alten. An die Stelle einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 46 Jahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist heute eine durchschnittliche Lebenserwartung von 81 Jahren getreten. Zugleich ist festzustellen, dass es angesichts der höheren Leistungsfähigkeit vieler Älterer keine medizinisch plausiblen Gründe mehr dafür gibt, die Berufstätigkeit oder die Übertragung ehrenamtlicher Aufgaben an starre Altersgrenzen zu binden; dafür ist die gesundheitliche Entwicklung zu unterschiedlich. Darüber hinaus ist es eine Schlüsselaufgabe persönlicher Lebensführung und gesellschaftlicher Gestaltung, die kreativen Möglichkeiten des Alters zu erhalten, zu fördern und zu nutzen.
Ob sich eine solche Sichtweise ausbreitet, hängt entscheidend von der Perspektive ab, aus der dieser Teil der menschlichen Lebensgeschichte betrachtet wird. Zur Sichtweise des christlichen Glaubens gehört es, die Begrenztheit des menschlichen Lebens nicht nur als Last, sondern auch als gnädige Fügung zu sehen. So wie Menschen ihr Leben aus Gottes Hand empfangen, so legen sie es wieder in Gottes Hand zurück. Weil sie auf eine Zukunft über die Grenze des individuellen
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