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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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deinen Vater im Alter und kränke ihnnicht, solange er lebt. Wenn sein Verstand nachlässt, übe Nachsicht und entwürdige ihn nicht in deiner ganzen Kraft.» (Jesus Sirach 3,12f.)
    Zu der gebotenen Unterstützung gehört die Verpflichtung, für die Versorgung der Eltern aufzukommen, wenn sie nicht mehr für sich selbst sorgen können. In Gesellschaften, für die eine staatlich gesicherte Altersversorgung noch in weiter Ferne liegt, lässt sich die Versorgung der Alten nur durch einen unmittelbaren, personengebundenen Generationenvertrag sicherstellen. Er ist lebenswichtig, denn die Alternative besteht, wie Sagen aus nomadischer Zeit noch erkennen lassen, in der Aussetzung oder gar Tötung der Alten, die nicht mehr mithalten können. Wer sich darüber wundert, dass das Elterngebot im Dekalog dem Tötungsverbot vorausgeht, muss sich diese elementare, lebensnotwendige Bedeutung vergegenwärtigen, die dem Einsatz der Jüngeren für die Älteren zukommt.
    Die Dringlichkeit dieses Gebotes wird dadurch unterstrichen, dass die Jüngeren auf ihre eigene Lebensperspektive hingewiesen werden. Die Aussicht, lange im verheißenen Land leben zu können, haben sie nämlich nur dann, wenn sie von ihren Kindern ein vergleichbares Handeln erwarten können, wie es ihnen im Blick auf ihre eigenen Eltern geboten wird. Das wird bei einem griechischen Autor des 4. vorchristlichen Jahrhunderts in Gestalt einer Goldenen Regel für das Generationenverhältnis formuliert: «Verhalte dich gegenüber deinen Eltern so, wie du möchtest, dass sich deine eigenen Kinder dir gegenüber verhalten.» (Pseudo-Isokrates, zitiert bei Köckert 2007: 75)
    Die Goldene Regel zielt auf eine Ethik der Gegenseitigkeit: «Was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.» (Matthäus 7,12) Da sie einen formalen Charakter trägt, verzichtet sie auf eine ausdrückliche Klärung der Frage, ob alle Wünsche, die man für sich selbst hat, moralisch richtig oder ethisch gut sind (vgl. Härle 2010: 82ff.). Doch der Sinn der Goldenen Regel erschließt sich nur dann, wenn man unterstellt, dass es sich um moralisch und ethisch vertretbare Wünsche handelt. Ebenso wichtig ist die Einsicht, dass die Goldene Regel keineswegs eine schlichte Tauschmoral repräsentiert, der man, wie Nietzsche meinte (Höffe 2012: 322. 328), einen naiven Egoismus unterstellen könnte. Das zeigt sich an der Anwendung dieser Regel auf Familienbeziehungen besonders deutlich. Schon hier geht es um mehr als nur um eine unmittelbare Reziprozität zwischen Individuen oder Gruppen, die sich Wechselseitigunterstützen; es handelt sich auch nicht nur um eine aufgeschobene Reziprozität wie in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern, in der Eltern zu einem späteren Zeitpunkt eine Gegenleistung für das erhoffen, was sie beim Aufwachsen ihrer Kinder geleistet haben. Schon Familienbeziehungen zeigen vielmehr Züge einer generalisierten Reziprozität, die anderen gegenüber praktiziert, was auch für das eigene Leben erhofft wird: Hilfe für denjenigen, der schlechter gestellt ist und der Unterstützung bedarf. Es geht um mehr als um die Erwartung direkter Gegenseitigkeit. Es geht um die Hoffnung auf gelingendes Leben; dafür ist entscheidend, dass die Schwächeren einbezogen werden (vgl. Bedford-Strohm 1998:178ff. 269ff.).
    Der Beistand für pflegebedürftige Ältere ist dafür ein wichtiger Prüfstein. In bäuerlich geprägten Traditionen hat er seinen Ort in der Mehrgenerationenfamilie. Die Sicherung für das Alter wird in festen Institutionen der bäuerlichen Welt verbürgt. Ein Beispiel ist das Altenteil, das der Generation, die den Hof zu Lebzeiten an die nächste Generation weitergibt, Wohnung und Rente zuerkennt. Der Prozess der Industrialisierung löste derartige Strukturen auf; die Alterssicherung wurde zu einer Aufgabe der als Solidargemeinschaft verstandenen Gesellschaft. Der Generationenvertrag wurde entpersonalisiert; die Gegenseitigkeit wurde in einem bis in das 19. Jahrhundert unbekannten Maß generalisiert. Unterstützung für den unbekannten Nächsten war nicht mehr ein Akt barmherziger Nächstenliebe, sondern wurde zu einem Teil gesellschaftlicher Gerechtigkeit. Vorausgesetzt war dabei ein Verhältnis der Generationen zueinander, in dem die aktive Generation weit größer war als die Generation der Versorgungsempfänger.
    Auch heute bleibt es vor allem Sohnes- oder meistens Tochterpflicht, die Hilfsbedürftigkeit der eigenen Eltern wahrzunehmen und Wege der Hilfe zu

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