Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
Vom Netzwerk:
Diese Praxis hat sich auch in Deutschland weitgehend durchgesetzt. Die Diagnose einer Trisomie 21 vor der Geburt kann nach der geltenden Rechtslage nur dann einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen, wenn die körperliche oder seelische Gesundheit der Mutter durch die Geburt desKindes in einer unzumutbaren Weise beeinträchtigt würde. Doch mit dem Down-Syndrom verbindet sich nicht in jedem Fall eine unzumutbare Situation für die Mutter. Vor allem Familien mit mehreren Kindern, von denen eines an einem Down-Syndrom leidet, berichten bei allen Belastungen zugleich von einer Atmosphäre der Rücksichtnahme und einem glücklichen Zusammenleben in ihrer Familie. Dennoch bildet inzwischen der Ausschluss von Down-Kindern vom Geborenwerden den häufigsten Anwendungsfall der «medizinischen Indikation»; sie wird faktisch wie eine «embryopathische Indikation» gehandhabt.
    Diese Praxis wird noch weiter um sich greifen, wenn das Vorliegen einer Trisomie 21 nicht nur durch eine Fruchtwasseruntersuchung, die möglicherweise zu einer Fehlgeburt führen kann, sondern durch eine weit ungefährlichere Untersuchung des mütterlichen Bluts, den sogenannten Präna-Test, überprüft wird. Viele Beobachter rechnen damit, dass ein flächendeckendes Screening auf chromosomale Störungen die Folge sein wird. Kinder mit solchen Störungen werden dann nur noch in den seltensten Fällen auf die Welt kommen; von jedem dieser Fälle wird es dann heißen, er sei vermeidbar gewesen. Man wird aus dem Wunsch, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, den Rechtsanspruch ableiten, dass Embryonen mit genetischen oder chromosomalen Störungen daran gehindert werden, zur Welt zu kommen.
    Folgerichtig wird schon jetzt eine umfassende pränatale Prüfung der genetischen und chromosomalen Ausstattung von Kindern und bei einem beunruhigenden Befund ein Recht auf die Beendigung der Schwangerschaft gefordert. Schon jetzt ist die Pränataldiagnostik als Regelfall etabliert. Begründungspflichtig ist nicht mehr die Frau, die den Einsatz dieser Diagnoseform wünscht, sondern diejenige, die auf ihn verzichtet.
    Gehören Down-Kinder einer anderen «Rasse» an? Gehören sie nicht der Familie an, in die sie hineingeboren werden? Viele werden diese beiden Fragen verneinen. Auch Frauen, die sich nach der Diagnose einer Trisomie 21 unter Gewissensqualen zu einem Schwangerschaftsabbruch entschlossen haben, denken nicht so. Dennoch zeigt das von Rayna Rapp berichtete Beispiel, dass neue medizinische Möglichkeiten sich mit einer Abwertung von Menschen mit genetischen oder chromosomalen Beeinträchtigungen verbinden können – und zwar von geborenen ebenso wie von ungeborenen.
Leid vermindern – Perfektion anstreben?
    Mit den modernen Lebenswissenschaften verbindet sich die Hoffnung, dass Leid vermindert und ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird. Die Reproduktionsmedizin ist zu einem der Brennpunkte in dieser Entwicklung geworden. Paare, deren Kinderwunsch bisher unerfüllt blieb, hoffen darauf, dass ihnen gesunde Kinder geboren werden. Genetisch belastete Paare wünschen sich Kinder, die ohne die befürchteten Erkrankungen leben können. Solche Hoffnungen und Wünsche haben großes Gewicht. Ihretwegen wurde nicht nur die Erzeugung von Embryonen in der Petrischale, sondern auch deren genetische Untersuchung vor der Implantation (PID) zugelassen. Doch eine derartige Entscheidung hat eine Kehrseite. Mit der PID verbindet sich ein selektiver Blick, der darauf zielt, unter den
in vitro
hergestellten Embryonen die einen auszuwählen und die anderen zu verwerfen. Mit dem Wunsch, Leid zu vermeiden, verbindet sich die Entscheidung darüber, welcher Embryo vorzugswürdig ist. Deshalb werden mehr Embryonen hergestellt, als in einem Zyklus implantiert werden sollen.
    Aller Wahrscheinlichkeit nach werden neue Diagnosetechniken zu einem breiteren Einsatz der PID führen. Chipgestützte Diagnosen werden das Indikationsspektrum erweitern; sie werden Resultate erbringen, nach denen gar nicht gefragt wurde. Diese «Überschussinformationen» werden eine Auswahl von Embryonen auch aus anderen Gründen als den eng begrenzten, auf genetische Belastungen der Eltern bezogenen zur Folge haben. Mit solchen Entwicklungen kann sich der Druck auf genetisch belastete Eltern erhöhen, sich einer PID zu unterziehen; Menschen mit genetisch bedingten Behinderungen können sich durch solche Entwicklungen tiefgreifend in Frage gestellt fühlen. Den Bemühungen um Integration und Inklusion von

Weitere Kostenlose Bücher