Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
Vom Netzwerk:
bei einer Samenspende gibt es einen Anspruch darauf, den eigenen biologischen Vater zu kennen. In Fällen der anonymen Kindesabgabe – vor allem durch anonyme Geburt oder durch das Ablegen des Kindes in einer Babyklappe – wird dem Kind sogar die Kenntnis beider Elternteile verweigert. Diese Verletzung eines elementaren Rechts kann nicht durch die Annahme gerechtfertigt werden, dass auf diese Weise Kindstötungen vermieden werden, zumal über die Motive, aus denen ein Kind anonym abgegeben wird, in den allermeisten Fällen nichts bekannt ist. Die Feststellung, dass eine beträchtliche Zahl von werdenden Müttern durch die verfügbaren Hilfsmaßnahmen nicht erreicht wird, muss zu einer Verbesserung der legalen Angebote führen; sie kann dagegen nicht ein Anlass dafür sein, Kindern das elementare Recht auf Kenntnis ihrer Herkunft zu verweigern. Deshalb ist in Konfliktfällen die vertrauliche Geburt, bei der über den Namen der Mutter zeitlich befristet Stillschweigen gewahrt wird, der anonymen Kindesabgabe vorzuziehen (Deutscher Ethikrat 2009: 90ff.). Die zugänglichen empirischen Daten zeigen bei den Betroffenen einen deutlichen Vorrang der anonymen Geburt vor der Inanspruchnahme einer Babyklappe; darüber hinaus zeigen sie eine Bereitschaft, nach einer Zeit der Anonymität die Verantwortung für das eigene Kind zu übernehmen und es selbst großzuziehen (Institut für Demoskopie Allensbach 2013: 75ff.). Auch angesichts dieser Erfahrungen ist die vertrauliche Geburt einer auf Dauer anonym bleibenden Kindesabgabe vorzuziehen.
    Eine professionsethische Überlegung soll am Ende stehen. Die rechtliche Regelung des Schwangerschaftskonflikts weist zwei Berufsgruppen eine herausgehobene Verantwortung zu: den Beraterinnen und Beratern, die für die rechtlich vorgeschriebene Beratung vor der Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch zuständig sind, sowie dem ärztlichen und pflegenden Personal, das den Abbruch einer Schwangerschaftdurchzuführen hat. Die Beratung in Schwangerschaftskonflikten hat die Bewahrung des Lebens als übergeordnetes Ziel, aber sie erfolgt ergebnisoffen, weil sie eine Entscheidung der Schwangeren ermöglichen soll. Gerade in dieser doppelten Ausrichtung kann die Beratung das Ja zum Leben und die Solidarität mit den Ratsuchenden überzeugend zum Ausdruck bringen.
    Für das beteiligte ärztliche und pflegende Personal stellt sich mit jedem Schwangerschaftsabbruch eine Gewissensfrage; ihm wird eine Handlung abverlangt, die menschliches Leben beendet. Wer sich daran aus Gewissensgründen nicht beteiligen kann, verdient Respekt und darf zu einer Mitwirkung nicht genötigt werden. Wer den betroffenen Frauen mit Empathie und Achtung begegnet, kann ihnen vielleicht dabei helfen, eine schwere Entscheidung in das eigene Leben zu integrieren.
    Konflikte um Schwangerschaft und Geburt zeigen eindringlich, wie eng individualethische, professionsethische und institutionsethische Aspekte miteinander verbunden sind. Kein Thema greift unmittelbarer in das persönliche, ja intime Leben eines Menschen ein; doch gerade dieses Thema verbindet sich mit einer Vielzahl sozialer und institutioneller Bezüge von großer ethischer Bedeutung.

4. Behinderung
    Wollen wir den perfekten Menschen?
    Rayna Rapp, die Autorin eines wichtigen Textes zur Pränataldiagnostik, zitiert den Bericht einer 37-jährigen weißen Möbelrestauratorin in den USA: «Ich hatte meine Abtreibung am 30. Juni, es ging mir danach sehr dreckig. Ich heulte die ganze Zeit.… Wir betrachteten die Parade auf der Main Street in Harlem, bei der Wohnung meiner Schwiegereltern. Eine Familie mit einem Down-Kind stand uns direkt gegenüber. Unmittelbar während der Parade, ganz ehrlich, es war wie ein Zeichen, das direkt für mich bestimmt war. Und es war so: Ich schaute auf das Mädchen, wie es sich über und über mit Eiscreme vollschmierte, wie es unfähig war, das zu tun, was die anderen Kinder von ihm erwarteten. Ich schaute zu ihm hin und dachte: ‹Das Kind gehört nicht zu dieser Familie.› Es sah nicht aus wie sie, es sah wie jemand anderes aus. Wirklich ganz anders, wie von einer anderen Rasse, wenn du verstehst, was ich meine. Das gab mir das Gefühl, dass ich das Richtige getan hatte, dass dasjenige, das ich abgetrieben hatte, genauso wenig zu meiner Familie gehörte.» (Rapp 1999: 274)
Keine Kinder mehr mit Trisomie 21?
    In den USA werden mehr als 90 Prozent der Föten, an denen vor der Geburt das Down-Syndrom diagnostiziert wird, abgetrieben.

Weitere Kostenlose Bücher