Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
einer verantwortungsethischen Perspektive kann man unerkannt abgehende Embryonen und solche, die mit den Mitteln der Reproduktionsmedizin hergestellt wurden, nicht unmittelbar miteinander vergleichen. Es handelt sich in beiden Fällen vielmehr um unterschiedliche Verantwortungsrelationen. Im Fall der natürlichen Befruchtung besteht eine Verantwortung für den sexuellen Vorgang, aus dem sich eine Schwangerschaft ergeben kann; es gibt Möglichkeiten, die Einnistung eines so entstandenen Embryos zu verhindern oder geschehen zu lassen; aber es gibt keine Möglichkeit, auf das Schicksal eines unerkannt abgehenden Embryos Einfluss zu nehmen.
Werden Embryonen dagegen mit den Mitteln der Reproduktionsmedizin hergestellt, folgt daraus nicht nur eine besondere Verantwortung der Paare, deren Kinderwunsch sich auf diesem Weg erfüllen soll. Eine analoge Verantwortung tragen auch die Ärztinnen und Ärzte, die beratend und handelnd an diesem Prozess beteiligt sind. Zwischen ihrer reproduktionsmedizinischen Entstehung und ihrer Implantation in den Mutterleib sind diese Embryonen auf ärztliche Fürsorge angewiesen. Unabhängig von unterschiedlichen Aussagen über ihren moralischen Status tragen die Eltern und das beteiligte ärztliche Personal Verantwortung für die Zukunft von reproduktionsmedizinisch hergestellten Embryonen.Vor die Wahl gestellt, ob diese Embryonen biologisches Material sind, das für beliebige Zwecke benutzt werden kann, oder ob sie allein dem Zweck der menschlichen Reproduktion dienen, muss die verantwortungsethische Entscheidung sich der zweiten Alternative zuwenden.
Die Verantwortung für den Embryo vor der Implantation trägt deshalb einen eigenständigen Charakter, der mit der Verantwortung in Schwangerschaftskonflikten nicht gleichgesetzt werden kann.
Diese neuartige Verantwortung hat einen so hohen Rang, dass reproduktionsmedizinisch hergestellte Embryonen durch den Staat rechtlich geschützt werden. Dieser Schutz ist unumgänglich, wenn menschliche Embryonen zu keinem anderen Zweck als zur menschlichen Reproduktion hergestellt werden sollen. Damit ist eine Handlungsweise, die auf die Herstellung überzähliger Embryonen angelegt ist, unvereinbar. Sie leistet einer Haltung Vorschub, die Stufen des menschlichen Lebens mit einem bloßen Objektcharakter versieht. Sie geht davon aus, dass menschliches Leben reproduktionsmedizinisch mit der Maßgabe hergestellt werden darf, bloß Mittel zum Zweck und keineswegs Zweck in sich selbst zu sein.
Verantwortung in Schwangerschaftskonflikten
Die Frage nach einer Ethik des Schwangerschaftskonflikts hat uns tief in Probleme der Reproduktionsmedizin hineingeführt. Denn der Gedanke, es gebe eine «Schwangerschaft auf Probe», hätte sich gar nicht ausbreiten können, wenn die Reproduktionsmedizin ihn nicht nahegelegt hätte. Dennoch kann man den Verzicht darauf, einen reproduktionsmedizinisch hergestellten Embryo zu implantieren, mit dem Abbruch einer Schwangerschaft nicht gleichsetzen. Der Embryo befindet sich im Schutz des mütterlichen Leibes; die Verbindung zwischen Mutter und Kind muss getrennt werden, um die Schwangerschaft zu beenden. Ein Lebensverhältnis wird abgebrochen; deshalb führt die Vorstellung, dass die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch leichthin getroffen wird, in den allermeisten Fällen in die Irre. Ein Schwangerschaftsabbruch ist vielmehr für die betroffenen Frauen sehr oft eine traumatische Erfahrung; wenn die beteiligten Männer diesen Abbruch fordern oder ihm gleichgültig gegenüberstehen, verstärkt das den Schmerz.
Kaum ein ethisches Thema ist so stark juristisch überformt wie der Schwangerschaftsabbruch. Er gilt als Tötungshandlung und ist deshalb mit strafrechtlichen Sanktionen belegt. Die ethische Debatte war deshalb lange Zeit von rechtlichen Fragen dominiert. Es ging darum, ob die Strafandrohung aufgehoben, gelockert oder mit Ausnahmen versehen werden solle. Die deutsche Rechtsentwicklung mündete in das Ergebnis, dass Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft «rechtswidrig, aber straffrei» sind, wenn eine Beratung stattgefunden hat und bescheinigt worden ist. Eine andere rechtliche Konstruktion wurde für den Fall einer medizinischen Indikation zugrunde gelegt. Wenn die Schwangerschaft beendet wird, weil dies um der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Mutter willen notwendig ist, ist dies nicht rechtswidrig; die rechtliche Erlaubnis zu dieser Handlung ist auch nicht an die Frist von zwölf
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