Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
erstrebenswertes Ziel menschlichen Handelns angesehen wird. Ein solches Projekt hat sich beispielsweise Ray Kurzweil vorgenommen, der nicht nur ein Pionier der optischen Spracherkennung ist, sondern auch den Vorsatz entwickelt hat, «
to live long enough to live forever
». Der 1948 geborene «Immortalitäts-Technosoph» möchte selbst noch erleben, wie dem menschlichen Leben mit technischen Mitteln unbeschränkte Dauerverliehen wird. Er will pharmazeutische und biotechnologische Mittel zur Verlängerung seines Lebens einsetzen, um bei guter Gesundheit den Zeitpunkt zu erreichen, zu dem die Nanotechnologie es möglich machen wird, ewig zu leben (Hülswitt 2008: Z 6).
Kühn an diesen Aussagen ist nicht nur das weitgehende Zutrauen zu Bio- und Nanotechnologie. Kühn ist auch, einen «unzeitigen» Tod gar nicht ins Auge zu fassen und anzunehmen, dass eine Selbstverewigung des Menschen sich mit seiner Individualität vereinbaren lässt. Ray Kurzweil bezeichnet den Zeitpunkt, zu dem die künstliche Intelligenz die menschliche überholen wird, zwar als «Singularität» (Kurzweil 2006); doch der Versuch, die eigene Sterblichkeit durch die Vernetzung des Gehirns mit künstlicher Intelligenz zu überlisten, würde, wenn er Erfolg hätte, von den geläufigen Vorstellungen über menschliche Individualität und Personalität nicht viel übrig lassen.
Bescheidener als solche Utopien und doch anspruchsvoll genug ist das Bemühen, vorzeitigen Tod und unnötiges Leiden zu vermeiden und Menschen dabei zu helfen, die ihnen zugemessene Lebenszeit in Würde verbringen zu können. Doch zu dieser Würde gehört es, die Endlichkeit des menschlichen Lebens anzuerkennen und sie von der Ewigkeit Gottes zu unterscheiden.
Hier zeigt sich, warum wir bei der Verständigung über grundlegende Fragen des Menschenbildes nicht auf die Erfahrungen und die Sprache der Religion verzichten sollten. Darauf hat mit besonderem Nachdruck Jürgen Habermas hingewiesen. Explizit knüpft er an die Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen an. In diesem Gedanken, so erläutert Habermas, verbindet sich die Entsprechung zwischen göttlicher und menschlicher Freiheit mit der Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf. Insofern erschließt dieser religiöse Gedanke den Zugang zum Verständnis der endlichen Freiheit des Menschen. Bei Habermas heißt es in diesem Zusammenhang: «Dass der Gott, der die Liebe ist, in Adam und Eva freie Wesen schafft, die ihm gleichen, muss man nicht glauben, um zu verstehen, was mit Ebenbildlichkeit gemeint ist. Liebe kann es ohne Erkenntnis in einem anderen, Freiheit ohne gegenseitige Anerkennung nicht geben. Deshalb muss das Gegenüber in Menschengestalt seinerseits frei sein, um die Zuwendung Gottes erwidern zu können.… Gott bleibt nur so lange ein ‹Gott freier Menschen›, wie wir die absolute Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht einebnen.» (Habermas, Glauben 2001: 30)
Chancen und Herausforderungen der Lebenswissenschaften
Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch hilft dabei, die Freiheit des Menschen in ihrer Endlichkeit zu begreifen und diese Endlichkeit auch bei allen wissenschaftlichen Bemühungen um Erhaltung und Qualität des menschlichen Lebens im Blick zu behalten. Damit ist keine Geringschätzung der modernen Lebenswissenschaften verbunden. Schon immer hat der Mensch das eigene Leben zum Gegenstand technischer Manipulationen gemacht, den eigenen Körper verändert und nach funktionalen Äquivalenten für defekte Körperfunktionen gesucht. Doch er griff dabei nicht planmäßig in die eigene biologische Konstitution ein. Die modernen Lebenswissenschaften rekonstruieren den menschlichen Organismus. Sie entwickeln Prothesen, also ersatzweise bereitgestellte Organe, und verwenden Transplantate, also im Original übertragene Körperteile. Sie entziffern das Genom und entschlüsseln so den Bauplan des menschlichen Lebens. Die ungefähr 100 Billionen Zellen des menschlichen Körpers werden damit auf eine Informationsbasis zurückgeführt, die vollkommene Transparenz verspricht. Die Prognose von Krankheiten wird dann ebenso mit größerer Treffsicherheit möglich sein wie die Entwicklung einer passgenauen, «personalisierten» Therapie.
Auch wenn die DNS entschlüsselt ist, wird das menschliche Leben ein Geheimnis bleiben. Denn der Mensch lebt nicht nur, sondern verhält sich zu seinem Leben; er geht nicht mit seinem Leben um, sondern empfängt es als Gabe und Geschenk; beim Nachdenken über sich
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