Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Wochen gebunden. Diese medizinische Indikation ist inzwischen zum Auffangtatbestand für alle Fälle geworden, in denen aufgrund pränataldiagnostischer Befunde eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Kindes befürchtet wird; in verallgemeinernder Form wird daraus eine Gesundheitsgefährdung für die Mutter abgeleitet. In einem Teil dieser Fälle kommt es zu Spätabtreibungen, unter Umständen sogar zur Tötung eines bereits lebensfähigen Fötus.
Ohne Zweifel sind derartige rechtliche Regelungen von unmittelbarer ethischer Bedeutung, denn sie enthalten und vermitteln Auffassungen darüber, was in einer Gesellschaft als richtig gilt oder gelten soll. Sie regeln jedoch nur das rechtlich erforderliche moralische Minimum; ihre Geltung ist unabhängig davon, ob die Betroffenen den moralischen Gehalt des Rechts billigen oder nicht. Deshalb kann die Betrachtung der jeweiligen Rechtslage eine umfassendere ethische Erwägung nicht ersetzen.
Es hat sich schon gezeigt, dass sich eine verantwortungsethische Betrachtungsweise bei diesem Thema geradezu aufdrängt. Auch das Leitmotiv für eine solche Überlegung haben wir bereits gefunden. Das Entstehen und der Verlauf einer Schwangerschaft sind verantwortungsethisch unter der Perspektive zu betrachten, dass die Schwangerschaft als Lebensverhältnis gelingt. Dieses Lebensverhältnis verbindet in allererster Linie eine schwangere Frau und einen Embryo miteinander. Im Konfliktfall kann die Schwangerschaft deshalb nur mit der schwangerenFrau und nicht gegen sie weitergeführt werden. Aus diesem Grund sind die Mittel des Strafrechts zur Konfliktregelung ungeeignet.
Dass eine Schwangerschaft nur mit der schwangeren Frau zu einem guten Ende kommt, bedeutet keineswegs, dass sie mit einem eventuell aufbrechenden Konflikt alleingelassen werden darf. Das zeigt sich schon an den besonders häufigen Konfliktkonstellationen, die zu Schwangerschaftsabbrüchen führen. Die nicht abgeschlossene Ausbildung oder die mangelnde materielle Sicherheit, die fragliche Verlässlichkeit einer Partnerschaft oder die Weigerung des potentiellen Vaters, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, die Furcht, der Fürsorge für ein Kind nicht gewachsen zu sein, oder der befürchtete Mangel an geeigneten Betreuungsmöglichkeiten sind Beispiele für soziale Notlagen, aus denen eine Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch entsteht (vgl. Kohler-Weiß 2003: 338ff.). Ob eine solche Notlage gemildert oder gar gemeistert werden kann, hängt auch vom Umfeld einer Schwangeren ab. Für eine verantwortungsethische Betrachtungsweise rücken zuallererst die potentiellen Väter in den Blick. Moralisch betrachtet haben sie für von ihnen gezeugte Kinder genauso einzustehen wie die werdenden Mütter. Weder Frauen noch Männer sind dieser Aufgabe von Natur aus gewachsen. Junge Menschen müssen vielmehr lernen, Verantwortung zu übernehmen. Nötig ist nicht nur eine Erziehung von Jungen und Mädchen zu verantwortlichem Sexualverhalten im engeren und zu verantworteter Elternschaft im weiteren Sinn; erforderlich ist ebenso eine Erziehung von Jungen dazu, verlässliche Partner zu sein und Verantwortung als Väter zu übernehmen.
In den Blick tritt auch das weitere Umfeld. Die Zeit der Schwangerschaft, der Geburt und das Aufwachsen von Kindern sind ein Bewährungsfeld nicht nur für Eltern, sondern auch für familiäre Netzwerke und andere «kleine Lebenskreise» (vgl. oben S. 35). Zivilgesellschaftliche Initiativen stehen Familien, insbesondere Alleinerziehenden, in Zeiten der Unsicherheit bei; dadurch entstehen in der wachsenden Pluralität der Lebensformen neue soziale Netzwerke. Ebenso wichtig sind familienunterstützende Angebote, die Menschen rechtzeitig von einem Ja zum Leben überzeugen können.
Aus einem isolierten Anspruch auf Fortpflanzungsautonomie lässt sich keine zureichende Lösung der Konflikte ableiten, die im Umkreis von Schwangerschaft und Geburt entstehen können (vgl. Weilert 2013).Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung muss vielmehr auf die Menschenwürde anderer bezogen werden. So ist der Anspruch, dass eine sexuelle Beziehung geheim bleibt, unvereinbar mit dem Recht eines aus dieser Beziehung hervorgegangenen Kindes, seine Herkunft zu kennen. Diese Beschränkung der Fortpflanzungsautonomie durch Würde und Rechte Dritter gilt auch im Blick auf die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin. Das Recht, die eigene Herkunft zu kennen, ist auch in Fällen der künstlichen Befruchtung zu beachten; auch
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