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Ethik: Grundwissen Philosophie

Ethik: Grundwissen Philosophie

Titel: Ethik: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Detlef Horster
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dass es viel schöner ist, gebraucht zu werden und für die anderen da zu sein, als nur nach den Bequemlichkeiten zu fragen, die uns angeboten werden.« (Benedikt XVI. 2005, 2)
    Beide Auslegungen innerhalb der Religion bezeichnen – wie in der Philosophie – eine Handlung, die über das Maß der Pflichten hinausgeht, welche ein Mitglied der moralischen Gemeinschaft hat, und die Kant »verdienstlich« nennt. Wir loben eine solche Handlung, tadeln aber nicht deren Unterlassung.
[34] Pluralistische Deontologie: William D. Ross
    William D. Ross (1877–1971) will zeigen, dass nichts dafür spricht, dass sich die moralischen Pflichten nur aus einem einzigen Prinzip, wie bei Kant aus dem kategorischen Imperativ, speisen. (Vgl. Ross 2002, 24) Ross vertritt zwar wie Kant eine Sollensethik, aber im Gegensatz zu Kant keinen Monismus, sondern einen moralischen Pluralismus. Er geht der Tradition der analytischen Philosophie entsprechend nicht von Theorien, sondern von der Realität aus, wenn er utilitarismuskritisch sagt, dass sich der einfache Mann (plain man) in seinem Handeln nicht an den Folgen, sondern an dem orientiert, was er tun soll. Er handelt so, weil er es beispielsweise versprochen hat. Handelt er anders, ist es eine Ausnahme, etwa wenn er einem Freund versprochen hat, bei der Steuererklärung zu helfen, dann auf dem Weg zu ihm auf ein Unfallopfer trifft und es ins Krankenhaus bringt. Dann hält er sein Versprechen nicht, weil nach seiner Ansicht die Pflichterfüllung gegenüber dem Unfallopfer dringlicher ist. (Vgl. Ross 2002, 17f.) Hier liegt die typische moralische Dilemmasituation vor, in der zwei Pflichten miteinander kollidieren und eine Pflicht nur dadurch erfüllt werden kann, dass man eine andere verletzt, ähnlich der Situation, über die Kant sich mit Benjamin Constant auseinandersetzte. Man muss sich in einer solchen Situation Ross zufolge einen Überblick verschaffen und alle möglichen Informationen einholen, um entscheiden zu können, welche von den konkurrierenden Pflichten dringlicher oder höher zu bewerten ist. (Vgl. Ross 2002, 19)
    Welche sind nun die nicht aus einem einzigen Prinzip ableitbaren Pflichten, die in Handlungssituationen aktuell werden können? Wir kennen als handelnde Menschen immer schon moralische Regeln (vgl. Ross 2002, 40), wobei die einfachen Menschen über die moralischen Regeln genauso gut informiert sind wie Moralphilosophen. (Vgl. Ross 2000, 311) Einer Moraltheorie zuliebe habe noch nie ein Mensch [35] dieses moralische Wissen aufgegeben oder erst dann für richtig erachtet, wenn man es zuvor aus einer Grundnorm abgeleitet hat. (Vgl. Ross 2002, 40) Man weiß beispielsweise, dass es moralisch falsch ist, Menschen zu foltern. Unterlässt man es erst dann, wenn man geprüft hat, ob es dem kategorischen Imperativ zuwiderläuft? Nein, es bedarf keiner »tiefer gehenden« Begründung, um zu wissen, dass es falsch ist, Menschen zu foltern. (Vgl. Schaber 2001, 237)
    Die Pflichten entspringen nicht ein und demselben Prinzip. Im einen Fall beispielsweise tut man etwas, weil man es versprochen hat; in einem anderen Fall, weil man ein Unrecht erkannt hat und den Schaden wiedergutmachen will. Wenn man nun nachdenkt und feststellt, dass ein Grund nicht auf den anderen rückführbar ist, dann sei nicht einzusehen, warum man dennoch der Auffassung sein sollte, dass eine solche Ableitung nötig ist. (Vgl. Ross 2002, 24)
    Ross nennt die Pflichten, aus denen man die tatsächlichen Pflichten in einer Handlungssituation ableiten kann, die selbst aber nicht aus einem einzigen zugrunde liegenden Moralprinzip erwachsen, »Prima-facie-Pflichten«. Er stellt einen entsprechenden Pflichtenkatalog auf, ohne damit Vollständigkeit beanspruchen zu wollen. Allerdings ist dieser Katalog keineswegs willkürlich zusammengestellt, denn die in realen Situationen auftretenden Pflichten lassen sich regelmäßig auf Pflichten zurückführen, die Ross »Prima-facie-Pflichten« nennt. Er sagt selbst, dass der Ausdruck etwas unglücklich gewählt ist. Der Begriff könnte nahelegen, dass es sich nur auf den ersten Blick um eine moralische Pflicht handelt oder dass es eine besondere Art von Pflicht ist. Für Ross ist die Prima-facie-Pflicht hingegen »an objective fact involved in the nature of the situation« (Ross 2002, 20). Man könnte »objective fact« mit »soziale Tatsache« übersetzen, die analog zu den »objective facts«, den natürlichen Tatsachen der Naturwissenschaftler, zu sehen ist. An anderer

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