Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ethik: Grundwissen Philosophie

Ethik: Grundwissen Philosophie

Titel: Ethik: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Detlef Horster
Vom Netzwerk:
tun. (Vgl. Scheler 1966, 211) So stellt sich der Zusammenhang von [109] Werten und Normen in der materialen Wertethik dar. Der Sache nach sieht Nicolai Hartmann es ebenso; nur dass er von idealem (Wert) und realem (Norm) Seinsollen spricht. (Vgl. Hartmann 1962, 156)
    Für Jürgen Habermas (*1929) sind Werte kulturelle Werte, man denke etwa an eine bestimmte lokale Heiratszeremonie. Normen hingegen gelten universell, so etwa die Pflicht, Grausamkeit gegenüber anderen Menschen zu unterlassen. (Vgl. Habermas 2002, 296) Die objektive Geltung einer universalistischen Moral sei durch die umfassender werdende Weltgemeinschaft gegeben, meint Habermas. Sie würde im Diskurs durch die Zustimmung aller faktisch und potenziell betroffenen Personen gefunden. Habermas verengt die Objektivität von Normen auf deren Generierung im Diskurs. Logischerweise müssten sie demnach als intersubjektive und nicht als objektive Normen bezeichnet werden. Nichtmoralische Werturteile wie Keuschheit verdienten – so Habermas – keine allgemeine Zustimmung, sondern nur die Anerkennung derjenigen, die einer bestimmten Wertgemeinschaft wie der Kirche angehörten.
    Die Nichtunterscheidung von Werten und Normen gefährde die universalistische Auffassung von Moral. (Vgl. Habermas 2002, 299) Eine solche Unterscheidung mache es erst möglich, universelle Normen zu ermitteln, die nicht von einer bestimmten Kultur abhängig sind, wohingegen gemeinschaftliche Wertvorstellungen wie Keuschheit oder voreheliche Enthaltsamkeit oder Traditionen wie die Heiratszeremonie nicht als universelle Normen tauglich sind.
    Dieser Auffassung widerspricht Hans Joas (*1948). Er hält zwar – sich am klassischen Pragmatismus von John Dewey, William James und George Herbert Mead orientierend – an der Trennung und Unterscheidung von Werten und Normen fest, doch konnotiert er die Begriffe gänzlich anders als Habermas. Synonym für die Begriffe »Normen« und »Werte« setzt er die Begriffe »das Rechte« und »das Gute« und sagt, es sei »nicht so, als sei die Bestimmung der beiden Begriffe [110] selbst einhellig und nur ihr Verhältnis umstritten; vielmehr hängt schon die Auffassung vom Guten und vom Rechten von weiteren Annahmen anthropologischer oder metaphysischer Art ab« (Joas 1997, 258). Für ihn sind Werte das »Attraktiv-Motivierende« und Normen das »Restriktiv-Obligatorische« (Joas 1997, 288). So wurden sie von den klassischen Pragmatisten bestimmt. (Vgl. Joas 2002, 271) Bei den Werten kommt für Joas eine stark affektive Dimension ins Spiel. Werte sind für ihn nicht so wie für die materialen Wertethiker unabhängig von den Subjekten. Für Joas ist die Aussage Schelers, dass Werte unabhängig davon bestehen, was die Menschen als wertvoll ansehen oder nicht, schlicht falsch. Wir fühlten uns nach Joas’ Ansicht »in unserem Leben an bestimmte Werte gebunden. […] Das heißt, daß wir unsere Wertbindungen nicht plausibel machen und nicht verteidigen können, ohne Geschichten zu erzählen – Geschichten über die Erfahrungen, aus denen unsere Bindungen erwuchsen, Geschichten über Erfahrungen anderer Menschen oder über die Folgen, die eine Verletzung unserer Werte in der Vergangenheit hatte.« (Joas 2002, 277) Wir sehen, dass Joas im Gegensatz zu den Vertretern der materialen Wertethik eine starke Personbindung der Werte vertritt.
    Kann es denn dann überhaupt universelle Werte geben? Joas setzt sich hier strikt von Habermas ab. Er schreibt, dass es im habermasschen Diskurs nicht nur um das Zuhören geht, sondern um das Überzeugen des Zuhörers. Vom Zuhörer wird für den Fall, dass im Diskurs die Argumente des Gegenübers plausibler und damit stärker sind, erwartet, dass er die Auffassung des Gegenübers akzeptiert. Wenn Ersterer allerdings bessere Gründe vorbringt, wird erwartet, dass umgekehrt sein Gegenüber diese Auffassung übernimmt. Joas hingegen beharrt auf der Resistenz unterschiedlicher kultureller Werte, über die man sich allerdings verständigen könne: »Zwar kann ein bestimmter Wert, etwa der Glaube an die jedem Menschen angeborene und unveräußerliche Menschenwürde, als Produkt einer bestimmten Kulturtradition [111] angesehen werden, in diesem Fall etwa der jüdisch-christlichen Tradition, aber das heißt nicht, daß andere Traditionen nicht im Licht dieses Werts reinterpretiert werden könnten oder vielmehr sich selbst reinterpretieren könnten, so daß ihr eigenes Potential zur Artikulation desselben Werts zum Vorschein kommen

Weitere Kostenlose Bücher