Ethik: Grundwissen Philosophie
empirische Welt (Außenwelt) ist von diesen Kriterien der rationalen Akzeptierbarkeit abhängig.
– Dass die Wissenschaft nicht »wertneutral« ist, zeigt uns noch nicht, dass ethische Werte objektiv sind oder Ethik eine Wissenschaft ist. Dass Erkenntnistugenden wie »Kohärenz« und »funktionale Einfachheit« Kriterien der rationalen Akzeptierbarkeit sind, zeigt allerdings, dass es Werte sind, die für Eigenschaften von Dingen stehen, und nicht bloße Gefühlsausdrücke. Sie sind Werteigenschaften.
– Zu den Erkenntnistugenden gehören nach Putnam auch: »gerechtfertigt«, »bestätigt«, »beste der vorhandenen [107] Erklärungen«. Man könne weiterhin nicht leugnen, dass es sich bei »kohärent«, »einfach«, »gerechtfertigt« um Wertausdrücke handelt, weil sie Wertimplikate haben. Ebenso wie »freundlich«, »schön«, »gut« würden sie als lobende Ausdrücke verwendet. Putnam kommt zu dem Ergebnis, dass es keine wertneutrale Rationalitätsauffassung gibt.
– Doch ohne unsere Rationalitätsauffassung hätten wir keine Welt und somit keine Tatsachen. Man muss die erkenntnisbezogenen Werte als Tatsachen ansehen. Die Maßstäbe rationaler Akzeptierbarkeit sind notwendig, um überhaupt eine Welt zu haben, sei es eine Welt »empirischer Tatsachen« oder eine Welt von »Werttatsachen«.
Jürgen Habermas fasst die hier dargestellte Auffassung von Hilary Putnam treffend zusammen: »Putnam behauptet […] ein Kontinuum zwischen Tatsachen- und Werturteilen. Unserer Sicht auf die Dinge sind Interessen und Wertorientierungen so tief eingeschrieben, daß es ein sinnloses Unterfangen wäre, den wertimprägnierten Tatsachen alles Normative abstreifen zu wollen. Wenn schon empirische Aussagen, an deren Wahrheit wir nicht zweifeln, mit Wertbindungen unauflöslich verflochten sind, ist es – so heißt das zentrale Argument – ebenso sinnlos, den evaluativen Aussagen, die solche Werte explizit zum Ausdruck bringen, zu bestreiten, wahr oder falsch sein zu können.« (Habermas 2002, 280) Putnam neige nicht nur in der theoretischen, sondern ebenso in der praktischen Philosophie zum Realismus und verteidige »die Objektivität von Wertorientierungen gegenüber non-kognitivistischen wie gegenüber relativistischen Ansätzen« (Habermas 2002, 281).
Es gibt also zwei entgegengesetzte Auffassungen über Wertorientierung. Für Nonkognitivisten wie Alfred Jules Ayer ist Wissen darüber auf andere Weise zu erlangen als deskriptives. Für Kognitivisten wie Hilary Putnam ist jede Art der Erlangung von Wissen, ob naturwissenschaftliches, soziales oder moralisches, wertgebunden. Und damit wird dem Wissen die Objektivität nicht abgesprochen. Kognitivisten [108] machen darum nicht den Unterschied bei der Erlangung von Wissen, den Nonkognitivisten machen. Kognitivisten wie Hilary Putnam sehen eine Analogie von wissenschaftlicher Erkenntnis und Werterkenntnis.
Das Verhältnis von Werten und Normen
Das Verhältnis von Normen und Werten ist in der Moralphilosophie erst im Zuge der Entstehung der materialen Wertethik Max Schelers und Nicolai Hartmanns zum zentralen Thema avanciert. Laut Scheler (1874–1928) besteht der Zusammenhang darin, dass die Normen sich aus den Werten und ihren Kriterien, wie Scheler sie vorgeschlagen hat, ergeben. (Vgl. Scheler 1966, 30f.) Werte sind für ihn materiale Qualitäten, die unabhängig davon sind, ob jemand sie als wertvoll erachtet oder nicht: Scheler sagt, dass uns der Wert gegeben ist, »
ohne
dass uns die
Träger
dieses Wertes gegeben sind« (Scheler 1966, 40). Ein Wert ist nach seiner Ansicht umso höher einzustufen, je unabhängiger er vom Träger des Wertes ist. (Vgl. Scheler 1966, 118) Auch für Nicolai Hartmann (1882–1950) bestehen Werte völlig unabhängig davon, ob sie von Menschen als wertvoll betrachtet werden oder nicht. Für ihn gibt »es ein an sich bestehendes Reich der Werte« (Hartmann 1962, 156). Wie mathematische Entitäten haben Werturteile den Charakter der Allgemeinheit, der Notwendigkeit und der Objektivität. Doch was ist mit dem, der ein abweichendes Werturteil fällt? Es sei, schreibt Hartmann, »hiermit ebenso wie mit der mathematischen Einsicht. Nicht jeder ist ihrer fähig; nicht jeder hat den Blick, die ethische Reife, das geistige Niveau, den Sachverhalt zu sehen, wie er ist.« (Hartmann 1962, 155)
Alles Wertvolle soll realisiert werden und alles Wertlose unterlassen bleiben. Die Realisierung wird durch moralische Normen gewährleistet: Man soll das Wertvolle
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