Ethik: Grundwissen Philosophie
kann. Eben dies aber setzt voraus, daß eine solche Reinterpretation nicht von der affektiven Gestütztheit einer Tradition abgekoppelt wird.« (Joas 2002, 278) Hans Joas kommt also trotz der Annahme einer starken kulturellen Kontingenz zur Auffassung der Universalität von Werten.
Die Objektivität von Werten und Normen
Theoretiker des moralischen Realismus, wie Hilary Putnam (vgl. Putnam 2002), mit dem sich sowohl Habermas wie Joas auseinandersetzen, vertreten in dreierlei Hinsicht eine gänzlich andere Auffassung. Zum einen zeigen sie, dass wir eben nicht darüber diskutieren und abstimmen – oder wie Habermas sagt: diskursiv ermitteln –, ob man einer moralischen Regel folgen soll oder nicht. Zum anderen führen sie, im Gegensatz zu Hans Joas, vor, dass Werte unabhängig von der Personbindung bestehen. Des Weiteren wird dargelegt, dass es im Gegensatz zu Joas’ und Habermas’ Auffasssung eine enge Verbindung zwischen Werten und Normen gibt. Alle drei Punkte deuteten sich in der Theorie der materialen Wertethik bereits an. Nun zu diesen drei Punkten, die das Spezifische des moralischen Realismus ausmachen:
Erstens:
Die Forderung, dass wir Versprechen halten, fair sein und die Wahrheit sagen sollen, ist funktional betrachtet in unserem menschlichen Zusammenleben notwendig. Davon war im Funktionalismus-Kapitel unter Bezugnahme auf Niklas Luhmann bereits die Rede. In substanzieller Hinsicht sagen moralische Realisten, dass die Forderung, mit anderen Menschen nicht grausam umzugehen, darin begründet ist, [112] dass es schlecht für sie ist. Das kann nicht erst das Ergebnis eines Diskurses sein. Deshalb sagt der Common Sense, es ist eine moralische Tatsache, dass man mit anderen Menschen nicht grausam umgehen soll. Daraus ergibt sich, was durch die moralische Pflichterfüllung konkret geschützt werden soll: Es ist der Sinn moralischer Normen, Menschen, die vom Handeln anderer betroffen sind, zu schützen.
Dasselbe gilt für Werte. Auch sie sind objektiv und nicht erst diskursiv zu ermitteln. Der Soziologe Niklas Luhmann ist davon überzeugt, dass Werte mit der beschriebenen unbezweifelbaren Evidenz bereits in unserer Kommunikation enthalten sind: »Werte ›gelten‹ in der Kommunikationsweise der Unterstellung. Man geht davon aus, daß in bezug auf Wertschätzungen Konsens besteht.« (Luhmann 2008, 241) Werturteile laufen in der Kommunikation mit und werden nicht eigens thematisiert, »ihr Akzeptiertsein wird unterstellt. Wenn man explizit fragt: bist Du für Frieden?, erweckt das den Verdacht auf Hintergedanken. Wer sich rühmt, Werte zu bejahen oder Unwerte abzulehnen, redet trivial.« (Luhmann 2000, 359)
Zweitens:
In welchem Sinne sind Werte, die uns zu moralischen Handlungen verpflichten, objektiv und nicht personabhängig? Dass wir im Alltag davon ausgehen – was wir ja meist tun –, ist noch kein Beweis, bestenfalls der »Schein eines moralischen Realismus«, wie Habermas sagt. (Habermas 1999, 317) Werte bestehen »unabhängig davon, ob sie von Menschen als wertvoll angesehen werden oder nicht«, denn sie
sind
wertvoll. (Schaber 2000, 341) Welche Werte können das sein? Es sind solche, die zum Wohlergehen der Menschen beitragen, wie Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit, Schutz des Lebens, Schutz der physischen und psychischen Integrität. Wenn etwas zum Wohl der Menschen beiträgt, dann
ist
es wertvoll. 81 Prozent der Jugendlichen in Deutschland geben solchen Werten folgende Rangfolge: »1. Eine Welt in Frieden, 2. Familiäre Sicherheit, 3. Innere Harmonie, 4. Wahre Freundschaft, 5. Freiheit.« (Merten 1994, 234) Ein [113] Vergleich verschiedener Untersuchungen zeigt die völlige Übereinstimmung der 13- bis 29-jährigen ost- und westdeutschen Jugendlichen in ihren Wertorientierungen. Sie bewegen sich »im gängigen Spektrum bürgerlicher Wertorientierungen« (Merten 1994, 236). Hier passt die Kommentierung, dass neue Werte kurze Beine haben. (Vgl. Merten 1994, 245) Neuere Daten der Shell-Jugendstudie von 2006 bestätigen diese Befunde. Die Autoren sind der Auffassung, dass die Jugendlichen ein stabiles Wertesystem haben. (Vgl. Gensicke 2006, 175) Mit hoher Präferenz werden von Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren die Werte Freundschaft, Partnerschaft, Familienleben, Eigenverantwortung genannt. (Vgl. Gensicke 2006, 177)
In diesem Zusammenhang muss erneut daran erinnert werden, dass man Werte, Moral, Traditionen, Konventionen und Recht unterscheiden muss. Tut man dies nicht, kommt es unweigerlich zu
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