Etwas Endet, Etwas Beginnt
Stimmberechtigten nicht an die Urnen gegangen waren, sondern es völlig zu Recht für klüger gehalten hatten, in der Kneipe zu sitzen. Es war daher nicht bekannt, welcher Prozentsatz der Bevölkerung sich für Ostpreußen, Nordpolen, Linksufer-Schmuden oder sonstige Jazwingen hielt. Wie dem auch sei, keinen Monat nach dem Plebiszit überschritt ein litauisches Armeekorps die Grenze, bestehend aus zwei Divisionen: der regulären »Gedymias« und der Freiwilligen-Division »Plechavicius«. Das Korps wurde befehligt von General Stasys Zeligauskas. Die Litauer nahmen die unentschlossenen Gemeinden fast ohne Gegenwehr ein, denn der größte Teil unserer Armee stand gerade im Irak, wo er der polnischen Verpflichtung gegenüber der Freien Welt nachkam. Der kleinere Teil unserer Armee war mit Machtdemonstrationen im Teschener Schlesien beschäftigt.**
Das Korps unter Zeligauskas besetzte rasch Sejn, nahm aber Suwałki nicht ein, weil Einheiten des deutschen Grenzschutzes und der 101. Airborne aus Gdańsk es aufhielten. Weder die Deutschen noch die Amerikaner wollten die Šaulisse in Ostpreußen haben. Die polnische Regierung reagierte mit einer Serie diplomatischer Noten und einem offiziellen Protest bei den Vereinten Nationen, worauf die litauische Regierung antwortete, sie wisse von nichts. Zeligauskas, erklärte der litauische Botschafter, handle ohne Befehl und auf eigene Faust, weil die ganzeFamilie Zeligauskas schon immer Heißsporne und Hitzköpfe gewesen seien, für die »Subordination« ein Fremdwort war.
Die Deutschen, die Amerikaner und die eilends mobilisierten Selbstschutzeinheiten drängten die Šaulisse zwar nach einiger Zeit hinter die Schwarze Hańcza zurück, doch die bewaffneten Konflikte hörten nicht auf. General Zeligauskas dachte gar nicht daran, sich zur Curzon-Linie zurückzuziehen, und drohte, er werde die Deutschen aus dem Suwałki-Gebiet vertreiben, weil er zwar Polen tolerieren könne – das seien schließlich nur polonisierte Ureinwohner –, aber die Germanen werde er hier nicht dulden. Natürlich benutzte Zeligauskas nicht den in Litauen unpopulären Begriff »Suwałki-Gebiet«. Auf Litauisch hieß das »Linksufer-Schmudien«. Es handelte sich dabei natürlich um das linke Ufer des Flusses Nemunas, vormals Memel und noch früher Niemen.
Der Senat der Republik Polen traf in der Angelegenheit des Abenteuers von Suwałki keinerlei Festlegungen. Es wurde diskutiert, auf die Erfahrungen unserer überaus reichen Geschichte zurückzugreifen, die sich ja gern wiederholt, doch man konnte sich nicht einigen, worauf man zurückgreifen sollte. Einige Senatoren optierten für eine neue Lubliner Union, andere zogen – wie üblich – einen neuen Pogrom von Kielce vor. 8
Der Feuerwechsel entfernte sich etwas, der Druck der Šaulisse verlagerte sich anscheinend nach Westen. Von Neugier getrieben, krochen wir wieder an den Rand des Trichters. Ich schaute zur Innenstadt hin, zu dem rauchverhangenenTurm der Sankt-Alexander-Kirche. Leider deutete nichts darauf hin, dass Pfarrer Kociuba sich anschickte, seine Drohung wahr zu machen. Pfarrer Kociuba hatte vor einem Monat aus der Schweiz eine Oerlikon-Vierlingsflak importiert, sie auf dem Glockenturm montiert und angekündigt, wenn noch einmal irgendeine Armee oder paramilitärische Organiation aufs Gebiet der Pfarrei oder auf den Friefhof vordringen sollte, würde er ihnen mit Hilfe der Vierlingsflak so ein
wash and go
verpassen, dass sie bis zum Jüngsten Tag daran denken würden.
Nun ja, der Pfaffe hatte nur gedroht. Wie üblich. Vater hatte recht, wenn er sagte, Religion sei Opium für die Massen.
Der gesprenkelte Mi-28 »Havoc« drehte einen Kreis über dem Park und beschoss die Gegend aus zwei schweren Kalaschnikow-MGs, die in der offenen Tür montiert waren. Die Schützen lehnten sich mutig heraus – ich wartete schon darauf, dass einer herunterfallen und in den Pappeln hängenbleiben würde. In den westlichen Rand des Gebüschs schlugen Werfergranaten ein. Ich zog den Kopf ein, denn die Luft ringsum heulte geradezu vor Splittern. Aber ich konnte noch die Šaulisse sehen, die unter dem Feuer zu den Gebäuden in der Straße der Sakramente zurückwichen, vormals Straße der Freiheit. Der Mi-28 zog noch einen Kreis und flog weg.
»Sieht so aus«, bemerkte ich und rutschte nach unten, »dass der
war is over
.
Farewell to arms
. Im Westen nichts Neues. Das Freikorps hat deinen Stammesverwandten den Arsch versohlt. Ihr habt verloren,
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