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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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    Im ersten Stock ging ein Fenster auf.
    »Ruhe!«, schrie ein Onkelchen mit glänzender Glatze und lehnte sich aus dem Fenster. Über den Ohren hatte er zwei graue Haarbüschel, die ihm das Aussehen eines Uhus gaben. »Ruhe! Hier schlafen Leute! Was ist das für ein Krach?«
    »Mach die Flocke, Opa!«, schrie der Fuchs, riss den Kopf hoch und fuchtelte mit der Uzi. »Dalli! Rübe rein!«
    »Höflicher, Fuchs«, ermahnte ihn der Große Gonzo, während er dem Individuum in dem lila Hemd den Strick um den Hals legte. »Und Sie, Landsmann, machen Sie das Fenster zu und gehen Sie fernsehen, wie es sich für einenguten Landsmann gehört! Denn sonst komme ich rauf und reiße Ihnen den Hintern auf, so.«
    Der Uhu lehnte sich weiter aus dem Fenster.
    »Und was macht ihr da, Jungs?«, rief er. »Was soll das werden? Lynchjustiz, was? Wie könnt ihr? Wie kann man so grausam sein? Das ist unmenschlich! Das ist nicht christlich! Was hat er denn getan?«
    »Läden ausgeraubt!«, schrie der Große Gonzo. »Der Galgenstrick, der Robber, der Dreckskerl!«
    »Dafür ist die Polizei da! Die Stadtwehr oder der Grenzschutz! Die Gerechtigkeit   …«
    »
Pomogiteee
!«, heulte das Individuum im lila Hemd auf Russisch los. »
Radi Boga, pomogiteee! Spassite menja! Radi Boga, pomogiteee, pan

    »Aha«, sagte der Uhu und nickte betrübt. »Aha. So ist das.«
    Und schloss das Fenster.
    »Geh schon, Jarek«, wiederholte der Fuchs und wischte sich die Hand an der gefleckten Hose ab.
    Ich lief los, ohne zurückzublicken. Von der nördlichen Seite der Stadt her wurde das Geschützfeuer stärker. Ich hörte die dumpfen Schüsse von Panzerkanonen.
    »
Njeeet
!«, erklang es hinter mir.
    »Polen den Polen!«, brüllte der Große Gonzo. »Hoch mit ihm,
Boys! Hang him high

    Ich hörte noch, wie die Weißkreuzler »We shall overcome« anstimmten. Wie üblich bei solchen Gelegenheiten. Ich konzentrierte mich auf meinen Walkman.
     
    Julie, Julie
    You’re so fine   …
     
    Die Straße entlang kam, nach Treibstoff stinkend, ein Schützenpanzerwagen. Auf die Panzerung war mit weißerFarbe gemalt: GOTT, EHRE UND VATERLAND.   Das bedeutete, dass die Bürgerwehr auf der Hut war und niemand dort irgendwas anstellen würde. Theoretisch.
    Ich kam zur Kreuzung Ursulinerinnen/Drzymała-Straße. Dort stand ein zweiter SPW.   Es gab auch eine elegante Barrikade aus Sandsäcken und einen spanischen Reiter. Barrikade und spanischer Reiter markierten die Grenze. Ihr kennt das: Wo wir sind, ist der Reiter, und wo der Reiter ist, ist die Grenze. Barrikade und Reiter wurden von einem Zug Freiwilliger bewacht. Die Freiwilligen   – wie alle Freiwilligen der Welt   – rauchten ununterbrochen und fluchten ununterbrochen. Sie waren vom Bauernselbstschutz, denn auf dem SPW stand aufgemalt: GEBT DIE HOFFNUNG NICHT AUF.
    »Wohin, Hosenscheißer?«, rief mir einer der den spanischen Reiter bewachenden Hosenscheißer zu.
    Ich hielt es nicht für angebracht zu antworten. Wenn ich auf dem Weg zur Schule bei allen Patrouillen, Barrikaden, spanischen Reitern, Streifen, Sperren und Checkpoints in Suwałki antworten wollte, würde ich stockheiser. Ich lief weiter und kürzte den Weg auf einem Steg über die Schwarze Hańcza ab.
    »Wohin?«,
schrie hinter der deutschen Barrikade einer vom Freikorps, natürlich auf Deutsch. Er trug eine kugelsichere Weste und war mit einem M-16 bewaffnet, an dem ein Granatbecher aufgesetzt war. Unter den Helmriemen hatte er sich eine Marlboro-Schachtel geklemmt.
»Halt! Stehenbleiben!«
    Leck mich am Arsch,
dachte ich ebenfalls auf Deutsch, während ich auf den Park zulief. Auf unseren schönen Stadtpark.
    Unser schöner Park hieß einst, wie mir mein seliger Opa erzählt hat, nach Marschall Piłsudski. Später, während des Weltkriegs, wurde er in Horst-Wessel-Park umbenannt.Nach dem Krieg wurden in seinem Namen die Helden von Stalingrad verewigt und blieben es lange   – bis Marschall Piłsudski wieder in Ehren stand und seine Büste im Park. Später, so um 1993, kam die Zeit der Raschen Änderungen. Marschall Piłsudski geriet allmählich in schlechten Ruf   – er hatte einen Schnurrbart getragen und Umstürze veranstaltet, hauptsächlich im Mai, und es war nicht die Zeit danach, im Park die Büsten von schnurrbärtigen Typen zu dulden, die gern die bewaffnete Hand gegen die gesetzmäßige Regierung erhoben, egal mit welcher Wirkung und zu welcher Jahreszeit. Der Park wurde also »Park des Weißen Adlers« genannt, worauf

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