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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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sekundierte ihm der Hutmacher und nahm aus einer Porzellantasse einen Schluck von etwas, das offensichtlich kein Tee war. »So sehet denn, da ist der fahle Kater, und die Hölle folgt ihm nach.«
    »Wahrlich sage ich euch«, teilte ich ohne besonderen Nachdruck mit, »ihr seid wie tönende Zimbeln.«
    »Setz dich, Chester«, sagte der Schnapphase. »Und gieß dir ein. Wie du siehst, haben wir einen Gast. Der Gast unterhält uns gerade mit der Erzählung von den Abenteuern, die er seit seiner Ankunft in unserem
Land
erlebt hat. Ich wette, du wirst dir das auch gern anhören. Erlaube, dass ich dich vorstelle   …«
    »Wir kennen uns schon.«
    »Gewiss doch«, sagte Alice und lächelte bezaubernd. »Wir kennen uns. Er war es, der mir den Weg zu eurem hübschen Häuschen gezeigt hat. Das ist ein Cheshire-Kater.«
    »Was hast du dem Kind weisgemacht, Chester?« Archie wackelte mit den Barthaaren. »Hast du dich wieder mit Reden hervorgetan, die deine Überlegenheit über andere Wesen beweisen sollen? Was? Kater?«
    »Ich habe eine Katze«, sagte Alice unvermittelt. »Meine Katze heißt Suse.«
    »Du erwähntest es.«
    »Und dieser Kater«   – Alice zeigte unhöflich mit dem Finger auf mich   – »verschwindet manchmal, und zwar so, dass man nur noch das Grinsen in der Luft schweben sieht. Brrr, ist das grässlich.«
    »Habe ich es nicht gesagt?« Archie hob den Kopf und stellte die Ohren auf, an denen immer noch Grashalme und Weizenähren hafteten. »Er hat sich hervorgetan! Wie üblich!«
    »Richtet nicht«, ließ sich Pierre Dormousse vernehmen, durchaus deutlich, obwohl sein Kopf noch immer auf dem Tischtuch lag, »auf dass ihr nicht gerichtet werdet.«
    »Sei still, Dormousse«, sagte der Schnapphase mit einer Bewegung der Pfote. »Schlaf und misch dich nicht ein.«
    »Du aber erzähl weiter, erzähl weiter, Kind«, ermunterte der Hutmacher Alice. »Wir würden gern von deinen Abenteuern hören, aber die Zeit drängt.«
    »Und ob«, knurrte ich und schaute ihm in die Augen.
    Archie prustete achtlos. »Heute ist Mittwoch. Mab und Les Cœurs spielen ihr idiotisches Croquet. Ich wette, dass sie noch nichts von unserem Gast wissen.«
    »Du unterschätzt Radetzky.«
    »Wir haben Zeit«, wiederholte er. »Nutzen wir sie also. So ein Spaß kommt einem nicht alle Tage unter.«
    »Und was, wenn man fragen darf, findet ihr daran spaßig?«
    »Du wirst sehen. Also, liebe Alice, erzähle. Wir sind ganz Ohr.«
    Alice Liddell bedachte uns mit einem interessierten Blick aus ihren dunklen Augen, als erwarte sie, wir würden uns tatsächlich in Ohren verwandeln.
    »Wo war ich stehengeblieben?«, überlegte sie, als keine Metamorphose eintrat. »Aha, ich weiß schon. Bei den kleinen Kuchen. Auf denen ›Iss mich‹ stand, in Schönschrift aus schwarzen Korinthen auf gelber Creme. Ach, hat dieser Kuchen geschmeckt! Und in Wahrheit war es ein Zauberkuchen. Als ich ein Stückchen gegessen hatte, habe ich angefangen zu wachsen. Ich hab Angst gekriegt, klar doch   … Und da hab ich rasch von dem anderen Kuchen abgebissen, der genauso gut geschmeckt hat wie der erste. Da habe ich angefangen, kleiner zu werden. So ein Zauber war das, ha! Ich konnte mal groß sein, mal klein. Ich konnte schrumpfen und mich ausdehnen. Wie ich wollte. Versteht ihr?«
    »Wir verstehen«, sagte der Hutmacher und rieb sich die Hände. »Also, Archie, du bist an der Reihe. Wir hören.«
    »Der Fall ist klar«, verkündete der Schnapphase stolz. »Die Wahnvorstellung hat einen erotischen Hintergrund. Das Essen der Kuchen ist Ausdruck einer typisch kindlichen oralen Fixierung, die auf der noch schlafenden Sexualität beruht. Lecken und schmatzen, ohne zu überlegen, ist ein typisch pubertäres Verhalten, obwohl ich, zugegeben, Leute kenne, die dem bis ins hohe Alter nicht entwachsen sind. Was das Schrumpfen und Wachsen angeht, das vom Verzehr der Kuchen bewirkt worden sein soll, dann werde ich wohl nicht allzu originell sein, wenn ich an den Mythos von Prokrustes und dem Prokrustesbett erinnere. Es handelt sich um den unterbewussten Wunsch, sich anzupassen, am Mysterium der Einweihung teilzunehmen und in die Welt der Erwachsenen einzutreten. Auch das hat eine sexuelle Grundlage. Das Mädchen möchte   …«
    »Darin also besteht der Spaß«, fragte ich nicht, sondern stellte ich fest. »In einer Psychoanalyse, die ermitteln soll, auf welche Weise sie zu uns geraten ist. Der Haken ist nur,dass bei dir, Archie, alles eine sexuelle Grundlage hat. Das ist

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