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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Weise.«
    Ich bewegte ein Ohr zum Zeichen, dass mir das nicht neu war.
    »Ich habe eine Katze«, teilte sie mit. »Meine Katze heißt Suse. Und wie heißt du?«
    »Du bist hier der Gast, mein liebes Mädchen. Du musst dich zuerst vorstellen.«
    »Verzeihung.« Sie machte einen Knicks, senkte den Blick. Schade, denn ihre Augen waren dunkel und für einen Menschen sehr schön. »Wirklich, das war nicht höflich, ich muss mich erst vorstellen. Ich heiße Alice. Alice Liddell. Ich bin hier, weil ich in den Kaninchenbau gegangen bin. Einem weißen Kaninchen mit rosa Augen nach, das eine Weste anhatte. Und in der Westentasche eine Uhr.«
    Ein Inka, dachte ich. Sie redet verständlich, spuckt nicht, hat kein Obsidianmesser. Und trotzdem ein Inka.
    »Haben wir Gras geraucht, Fräuleinchen?«, erkundigte ich mich höflich. »Barbiturate geschluckt? Oder uns vielleicht mit Amphetaminen vollgeschlagen?
Ma foi,
die Kinder fangen früh an heutzutage.«
    »Ich verstehe kein Wort.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst, Kater. Kein Wörtchen. Kein Wörtleinchen.«
    Sie redete seltsam, und gekleidet war sie noch seltsamer; erst jetzt fiel mir das auf. Ein glockenförmig ausgestelltes Kleidchen, eine kleine Schürze, ein Leibchen mit abgerundeten Ecken, kurze Puffärmel, Strümpfchen   … Ja, zum Kuckuck, Strümpfchen   … Und Schühchen mit Schnürsenkelchen.
Fin de siècle,
so wahr ich ein Kater bin. Also musste man Drogen und Alkohol wohl eher ausschließen. Sofern, versteht sich, ihre Aufmachung kein Kostüm war. Sie konnte direkt aus einer Vorstellung des Schultheaters ins
Land
geraten sein und die kleine Miss Muffet gespielt haben, die im Sand neben der Spinne sitzt. Oder direkt aus der Fete, auf der die jugendliche Schauspieltruppe den Erfolg des Stücks mit jeder Menge Pülverchen gefeiert hatte.
    »Was haben wir denn nun genommen?«, fragte ich. »Welche Substanz hat es uns ermöglicht, in einen veränderten Bewusstseinszustand zu gelangen? Welches Präparat hat uns ins Land der Träume gebracht? Oder vielleicht haben wir einfach über Gebühr lauwarmes
gin and tonic
getrunken?«
    »Ich?« Sie errötete. »Ich habe nichts getrunken   … Das heißt, nur ein Löffelchen, ein ganz kleines   … Na, vielleicht zwei   … oder drei   … Aber an dem Fläschchen hing ja ein Kärtchen, auf dem stand ›Trink mich‹. Das konnte mir ja unmöglich schaden.«
    »Ganz, als ob ich Janis Joplin reden höre.«
    »Wie bitte?«
    »Unwichtig.«
    »Du solltest mir sagen, wie du heißt.«
    »Chester. Zu Diensten.«
    »Chester liegt in der Grafschaft Cheshire«, erklärte sie stolz. »Das habe ich vor kurzem in der Schule gelernt. Du bist also ein Cheshire-Kater! Und wie wirst du mir zu Diensten sein? Wirst du mir eine Freude machen?«
    »Ich werde dir keine Freude machen.« Ich grinste, bleckte die Zähne und entschloss mich schließlich, sie doch Mab und Les Cœurs zu überlassen. »Nimm an, dass ich dir damit einen Dienst erweise. Und rechne nicht auf mehr. Auf Wiedersehen.«
    »Hmmm   …« Sie zögerte. »Gut, gleich gehe ich   … Aber zuerst   … Sag mir, was machst du auf dem Baum?«
    »Ich liege in der Grafschaft Cheshire.
Au revoir

    »Aber ich   … Ich weiß nicht, wie ich hier herauskommen soll.«
    »Mir ging es ausschließlich darum, dass du dich entfernst«, erklärte ich. »Denn was das Herauskommen angeht, das ist vergebliche Mühe, Alice Liddell. Hier kann man nicht herauskommen.«
    »Wie bitte?«
    »Hier kann man nicht herauskommen, Dummchen. Du hättest einen Blick auf die Rückseite des Kärtchens an dem Fläschchen werfen sollen.«
    »Stimmt nicht.«
    Ich wackelte mit meinem vom Ast herabhängenden Schwanz, was bei uns Katzen einem Schulterzucken entspricht.
    »Stimmt nicht«, wiederholte sie streitsüchtig. »Ich werde ein bisschen hier spazierengehen, und dann gehe ich wieder nach Hause. Ich muss. Ich gehe in die Schule, ich darf den Unterricht nicht verpassen. Außerdem würde sich Mama nach mir sehnen. Und Suse. Suse ist meine Katze. Habe ich das schon gesagt? Auf Wiedersehen, Cheshire-Kater. Wärst du noch so freundlich, mir zu sagen, wohin dieser Weg führt? Wohin komme ich, wenn ich ihm folge? Wohnt dort jemand?«
    »Dort«   – ich deutete mit einer winzigen Kopfbewegung in die Richtung   – »wohnt Archibald Haigha, für seine Freunde Archie. Er ist übergeschnappter als ein Schnapphase. Darum nennen wir ihn den Schnapphasen. Dort hingegen wohnt Bertrand

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